Alles muss versteckt sein (Wiebke Lorenz)

Alles muss versteckt sein (Wiebke Lorenz)

Über das Buch:

Was tust du, wenn deine Mordfantasien Wirklichkeit werden?

Ihre Gedanken sind mörderisch, ihre eigene Angst davor unaussprechlich: Nach einem Schicksalsschlag erkrankt Marie an aggressiven Zwangsgedanken, betrachtet sich als Gefahr für sich selbst und andere. Monatelang kämpft sie gegen die grausamen Mordfantasien an, die wie Kobolde durch ihren Kopf spuken, ständig verbunden mit der Panik, sie könne diese furchtbar realen Fantasien eines Tages nicht mehr kontrollieren und in die Tat umsetzen. Und dieser Tag kommt, als Marie neben ihrem toten Freund erwacht, der mit einem Messer auf grausamste Weise niedergemetzelt wurde. Am Ende eines Gerichtsprozesses wird sie aufgrund ihrer Schuldunfähigkeit zum Maßregelvollzug in der forensischen Psychiatrie verurteilt. Dort sucht Marie verzweifelt nach Erinnerungen an die Mordnacht, denn für Marie selbst sind die Geschehnisse wie ausgelöscht. Nur ihr Arzt Jan scheint sie zu verstehen und ihr helfen zu wollen. Aber schon bald wächst in Marie der Verdacht, dass in Wahrheit vielleicht nichts so gewesen ist, wie es scheint …


Rezension:

Die Welt da draußen ist manchmal krank, aber dich geht das nichts an.
Bist du sicher?
Ganz sicher?
Was, wenn es dich doch betrifft?
Was, wenn du eines Tages aufwachst und entdeckst, dass in dir ein Monster lebt? Und sosehr du dich auch bemühst, es lässt sich nicht vertreiben oder beherrschen, es hat von dir Besitz ergriffen und lässt dich nicht mehr los. Was tust du dann?
(Aus dem Prolog, Seite 9/10)

Marie ist seit knapp zwei Monaten in der forensischen Psychiatrie, nachdem sie ihren Freund – den erfolgreichen Schriftsteller Patrick – eines Nachts niedergestochen hat. Eigentlich soll ihr dort geholfen werden, mit der Tat umzugehen, was sich jedoch schwierig gestaltet, denn einerseits erinnert sich Marie an gar nichts mehr, andererseits verkriecht sie sich in ihren Gedanken und ist im Gegensatz zu anderen Klinikpatienten sehr harmlos und unkommunikativ. Der junge Arzt Dr. Jan Falkenhagen bietet ihr immer wieder das Gespräch an, was Marie jedoch lange Zeit rigoros ablehnt: Sie will sich nicht erinnern, denn sie hat Angst vor dem, was die Erinnerungen noch mit sich bringen könnten.
Erst als ihr Exmann Christopher, der sich beruflich im Ausland befand, in der Klinik auftaucht und ihr seine Unterstützung förmlich aufdrängt, fasst Marie sich ein Herz und beginnt mit einer Gesprächstherapie. Stück für Stück konstruiert sie mit Hilfe von Dr. Falkenhagen und auf Grundlage ihres persönlichen Tagebuchs den Verlauf ihrer Krankheit bis hin zu jener verhängnisvollen Nacht, und mit jedem Schritt nach vorn wird immer deutlicher, dass nichts so richtig zusammen passt. Was geschah wirklich in der Nacht, in der Patrick brutal ermordet wurde und Marie in seinem Blut aufwachte?

Ein Thriller mit psychologischem Hintergrund – wirklich nichts Neues auf dem (deutschen) Buchmarkt, denn es gibt wohl kaum etwas Faszinierenderes und Vielfältigeres als das menschliche Gehirn und seine Gedankenprozesse, worüber man ein gutes Buch schreiben könnte. Das dachte sich wahrscheinlich auch Wiebke Lorenz, die in ihrem zweiten Buch, das sie ohne ihre Schwester schreibt, der komplexen Thematik der Zwangsgedanken annimmt und mit Alles muss versteckt sein einen wirklich spannenden Roman abliefert, der nicht nur kurzweilig zu unterhalten weiß, sondern den Leser tatsächlich auch nach der Lektüre weiterhin beschäftigt. Man fühlt sich ein wenig paranoid und vermutet hinter jedem kleinen Spleen schon die Grundlage eines Zwangsgedanken, hinter jeder kleinen Marotte den Boden für eine Zwangshandlung. Das ist natürlich Quatsch, denn die im Buch hervorragend geschilderte und beschriebene Krankheit umfasst weit mehr als diese „Kleinigkeiten“. Und die Autorin versteht es vorzüglich, diese psychische Störung verständlich rüberzubringen, sodass die Protagonistin dem Leser sehr nahe kommen kann. Dadurch bekommt dieser Psychothriller einen ganz besonderen Beigeschmack, denn schon während des Lesens erwachen verschiedene Gedanken und immer mehr der Drang, sich noch mehr mit dem Thema auseinander zu setzen.

Doch nicht nur der Unterhaltungswert von Alles muss versteckt sein hat ein erstaunlich hohes und durch das komplette Buch stabil bleibendes Niveau, auch der Bildungsfaktor ist bemerkenswert. Als Leser erhält man quasi einen Einblick hinter den Kopf eines Zwangserkrankten, eine einmalige Chance, denn man kann den Menschen ja bekanntlich nur vor den Kopf gucken. Wiebke Lorenz aber schafft es durch die Tagebucheinträge, Träume und gedankliche Rückblicke tatsächlich, dem Leser das Gefühl zu vermitteln, in Marie selbst hineinschauen zu können. Das Grauen, das die Protagonistin durchmacht, wird so zum Greifen nahe und fast sogar zur Realität. Verbunden mit dem Spannungsplot und einer fast haarsträubenden Auflösung, die zwar ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht anders herzudenken ist, jedoch trotzdem überzeugen kann, liefert dieser Roman also alles, was gute Spannungsliteratur ausmacht. Das Tüpfelchen auf dem i ist dann noch die wunderbare Beschreibung der Stadt Hamburg – als Einwohner dieser Stadt erwischt man sich dabei, lächelnd zu nicken und bestimmte Plätze wiederzuerkennen, als literarischer Tourist kann man sich schnell in diesen Beschreibungen verlieren.

Wiebke Lorenz beweist also mit diesen 350 Seiten, dass sie auch im Alleingang überzeugend schreiben und dem Leser sehr gute Unterhaltung liefern kann. Für Leser, die nicht so sehr auf Romantik abfahren, jedoch trotzdem nicht auf den Schreibstil der Autorin verzichten möchten, ist dieses Buch genau das Richtige. Fans von Anne Hertz sollten jedoch ebenfalls nicht zurückschrecken, sondern die andere Seite kennen lernen – es lohnt sich in jedem Fall!


Fazit:

Eine beeindruckende Kombination aus guter Recherche und spannender Story wird dem Leser in Alles muss versteckt sein geboten. Wiebke Lorenz beweist, dass auch Frauen in der Lage sind, erschreckende und blutige Thriller zu schreiben, die nicht nur unter die Haut gehen, sondern sich auch im Kopf festbeißen. Ein Roman, der dem Leser einiges abverlangt – vor, während und nach jeder einzelnen Seite. Ein wahrer Genuss und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!



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