Artikel 5 (Kristen Simmons)
Über das Buch:
Wer nach Einbruch der Dunkelheit sein Haus verlässt, Bücher leist oder uneheliche Kinder zeugt, wird im Amerika der Zukunft hart bestraft. Denn die Moralmiliz versklavt mit ihren totalitären Gesetzen die Bürger der Vereinigten Staaten. Die 17-jährige Ember hat deshalb ein Leben in Deckung gewählt – doch trotz aller Schutzmaßnahmen wird plötzlich ihre Mutter verhaftet. Sie hat gegen Artikel 5 der Moralstatuten verstoßen, weil sie nicht mit Embers Vater verheiratet war. In einer Besserungsanstalt für Mädchen wehrt sich Ember gegen Hass, Gewalt und fanatische Moralisten. Und sie muss ihre Mutter retten – doch dazu braucht sie ausgerechnet die Hilfe des Soldaten, der sie verhaftet hat …
Rezension:
Artikel 5:
Als vollwertiger Bürger wird nur anerkannt, wer als Kind eines verheirateten Paares auf die Welt kommt.
(Aus dem Klappentext, Auszug der Moralstatuten)
Im neuen Amerika heißt es „Ein Familie besteht aus einem Mann, einer Frau und mindestens einem Kind.“ Die Regeln sind äußerst streng und werden nicht länger mit Geldstrafen geahndet, sondern mit Freiheitsentzug und Aufenthalten in Resozialisierungszentren. Bisher konnte Ember ihre Mutter ganz gut unter Kontrolle halten, die mit Vorliebe gegen die Moralstatuten verstoßen hat. Doch als per Gesetzesbeschluss uneheliche Kinder nicht länger als vollwertige Menschen angesehen werden, bricht ihre bis dato heile Welt von einem Moment auf den anderen auseinander. Plötzlich steht die Moralmiliz eines Tages überraschend vor der Tür und verhaftet nicht nur ihre Mutter, sondern auch Ember selbst verhaftet wird. Umso schlimmer, dass bei ihrer Verhaftung ein Mensch eine wichtige Rolle spielt, den sie schon ihr Leben lang kennt: Chase, der ehemalige Nachbarsjunge und ihre große Liebe, die sie vor einem Jahr zum Militär hat gehen lassen. Getrennt von ihrer Mutter erfährt sie in einem Resozialisierungszentrum, was die Moralmiliz aus einst sanften und unschuldigen Männern macht, und kommt selbst in den „Genuss“ diverser Sanktionen. Mit Hilfe eines Geheimnisses, das ihr als Druckmittel dient, schmiedet sie einen Fluchtplan, den sie alleine jedoch nicht durchziehen kann. Sie braucht Chases Hilfe, doch wie soll sie dem Mann vertrauen, der ihre Verhaftung zu verantworten hat und der schon lange nicht mehr der ist, den sie einmal kannte?
Das Amerika der Zukunft ist in vielen Dystopien zum Schauplatz geworden, doch nur selten wurde es so brutal dargestellt wie in Artikel 5. Kristen Simmons verschont ihre Charaktere kaum, sondern lässt sie – zumindest zu Beginn und zum Ende des Buches – rasante Augenblicke erleben. Der Leser wird nahezu sofort ins Geschehen gezogen, nur wenige Seiten Vorgeplänkel bleiben ihm, um in die Geschichte zu finden. Das Lesetempo ist von Anfang an auf einer enormen Höhe, flacht jedoch im zweiten Drittel auch recht schnell wieder ab. Denn hier dreht sich die meiste Zeit alles darum, auf der Flucht zu sein, ein Auto zu stehlen, nicht entdeckt zu werden, den Kontrollen zu entgehen und ähnliches, das die ganze Story in die Länge zieht, ohne jedoch unnötig zu sein. Auch diese Längen sind wichtig, um dem Leser das Ausmaß der neuen Verbote und die Macht der Moralmiliz vor Augen zu führen.
Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Autorin hier einiges an Seitenfüllmaterial hätte unter den Tisch fallen lassen können, um stattdessen die Charaktere ein wenig auszuschmücken. Denn diese bleiben leider sehr unausgereift und blass, auch wenn Kristen Simmons mehrfach versucht, den Leser hinter die aufgezogenen Masken schauen zu lassen. Es fällt schwer, einen richtigen Zugang zu den Protagonisten zu bekommen und ihre Gedankengänge und Handlungen nachvollziehen zu können. Vor allem die (Liebes-)Beziehung zwischen Ember und Chase ist im Grunde völlig offensichtlich, trotzdem sträuben sich beide dagegen, das zuzugeben und auszuleben. Erst in den letzten Kapiteln erfährt der Leser den Grund dafür – viel zu spät, als dass die Aufklärung noch besänftigend wirken könnte.
Auch die neue Gesellschaft wird nur in Ansätzen erklärt, vieles muss man sich selbst dazudichten, was das Lesen etwas anstrengend gestaltet, da einfach Hintergrundwissen fehlt. Einige, gerade für jugendliche Leser, unbekannte Begriffe behindern den gerade im Mittelteil recht trägen Lesefluss noch zusätzlich und auch einige grobe Fehler in Sachen Rechtschreibung und Logik wurden vom Lektorat bzw. Korrektorat übersehen. In der Summe betrachtet kann Kristen Simmons zwar mit einer guten Idee und definitiv vorhandenem Potential punkten, muss aber auch Abstriche in Sachen Umsetzung machen. Da Artikel 5 ebenfalls ein Reihen-Auftakt ist, darf man auf die im Oktober erscheinende Fortsetzung Gesetz der Rache gespannt sein. Das offen gehaltene Ende bietet jedoch auch die Möglichkeit, das Buch als Einzeltitel zu betrachten und Embers Geschichte nicht weiter zu verfolgen. Wenn Kristen Simmons es schafft, das vorhandene Potential geschickt zu nutzen, dürfte der Nachfolger zumindest einige der Minuspunkte ausgleichen können.
Fazit:
Mit Artikel 5 hat sich das Imprint des Piper-Verlags ivi eine Dystopie an Land gezogen, die vor allem durch die grausamen Misshandlungen und skrupellosen Vorgänge der Moralmiliz im Gedächtnis bleibt. Darüber hinaus schafft es Kristen Simmons leider nur schwer, den Leser auf ihre Seite zu ziehen – unentschlossene Charaktere und ein Handlungsstrang, der zum größten Teil aus Reisen besteht, lassen den Funken nicht richtig entzünden. Nette Unterhaltung mit einer Menge Potential, im Ganzen aber eher als durchschnittlich zu betrachten.
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