Das dunkle Flüstern der Schneeflocken (Sif Sigmarsdóttir)

Das dunkle Flüstern der Schneeflocken (Sif Sigmarsdóttir)

Klappentext:

Island – schneebedeckt, düster, tödlich …

Hannah Eiríksdottir freut sich überhaupt nicht, in den kalten Norden zu ziehen. Doch das Praktikum bei der Tageszeitung entpuppt sich als spannende Gelegenheit, die erfolgreiche Influencerin Imogen Collins kennenzulernen – und schnell ist Hannah sehr beeindruckt von ihr.

Als kurze Zeit später eine Leiche in einem Lavafeld gefunden wird, sprechen alle Indizien gegen Imogen und sie wird verhaftet. Ist Imogen Collins wirklich eine Mörderin und ihr perfekter Instagram-Feed nur eine gut getarnte Fassade? Hannah beginnt, eigenmächtig zu ermitteln und gerät dabei an den Rand der Legalität …


Rezension:

Nach dem Tod ihrer Mutter könnte sich Hannah eigentlich vieles vorstellen, was besser wäre, als zu ihrem Vater und seiner neuen Familie nach Island zu ziehen, zu dem sie kein besonders intensives und liebevolles Verhältnis pflegt Doch nach einer nicht ganz legalen Recherche für einen Artikel in der Schülerzeitung wurde es ohnehin Zeit für einen Neuanfang, und das Praktikum bei der Tageszeitung ist dabei wahrscheinlich nicht die schlechteste Option. Zumal sie die einmalige Möglichkeit bekommt, die bekannte Instagrammerin Imogen Collins für ein Interview zu treffen. Da Hannah selbst versucht, in den sozialen Medien Fuß zu fassen, hofft sie auf hilfreiche Tipps und Tricks von der erfolgreichen Influencerin. Als sich nach einigen Startschwierigkeiten endlich eine Art Vertraulichkeit entwickelt, überschlagen sich jedoch die Ereignisse und Imogen wird wegen Mordverdachts verhaftet – inmitten zahlreicher Menschen auf einer wichtigen Konferenz, auf der sie eine große Enthüllung geplant hatte. Hannah gelangt in den Besitz von Imogens Handy und macht sich schließlich selbst auf die Suche nach Antworten – denn sie glaubt nicht, dass ausgerechnet Imogen zu einem kaltblütigen Mord fähig ist.

„Warum sind die jungen Leute von heute alle so besessen davon, wer sie sind? Statt immer irgendwer sein zu wollen, könntest du doch einfach mal nur sein. Lass deine verschiedenen Ichs durch dich fließen. Lass sie nacheinander zum Vorschein kommen, von alleine, ganz natürlich, wenn ihnen danach ist. Du darfst nicht ständig versuchen, irgendwer zu sein. Du musst lernen, niemand zu sein, das ist die Kunst.“
(Seite 75)

Schon beim ersten genaueren Blick aufs Cover wird ein grandioser Bezug auf Instagram genommen, das für Das dunkle Flüstern der Schneeflocken eine wesentliche Rolle spielt. Der eigentliche Krimi-Plot ist auch im Buch eher eine Nebensächlichkeit, vielmehr befasst sich Sif Sigmarsdóttir mit den Auswirkungen der sozialen Medien auf die Menschen in allen Belangen des Lebens. Teilweise erfährt der Leser vieles über die Hintergründe von Werbung und die dadurch geweckte Kauflust – wem ist nicht schon mal aufgefallen, dass eingeblendete Werbebanner sich oftmals auf genau das beziehen, was vorher in eine Suchmaschine eingegeben wurde? Das erscheint im ersten Moment etwas gruselig, hat aber mehr mit dem Gebrauch des Internets und cleveren Algorithmen zu tun. Die Autorin verwendet in ihrer Geschichte viel Zeit, die Hintergründe dieser Berechnungen genauer zu erläutern – was an sich ein wirklich interessantes Thema ist, allerdings in diesem Ausmaß über längere Strecken eher ermüdend als unterhaltsam ist. Der Spannungsbogen ist daher durch das komplette Buch hindurch immer eher flach gehalten und kann nur wenige Ausreißer nach oben liefern. Erst auf den letzten knapp 150 Seiten hat der Leser tatsächlich den Eindruck, einen Krimi in der Hand zu halten.

Auch zu den Charakteren findet man nur schwer Zugang. Aus zwei Perspektiven und anfänglich auch Zeitsträngen, die erst später ineinanderfließen, lernt der Leser sowohl Hannah als auch Imogen kennen. Beide sind recht unterschiedliche Charaktere, die jedoch auch einiges verbindet – was sich allerdings erst im Verlauf der Story abzeichnet. Eingeleitet werden die einzelnen Kapitel durch die Beschreibung von Instagrambildern mit möglichen Captions und der tatsächlichen Bildunterschrift. Auf diese Weise erhält der Leser einen besonders authentischen Einblick darin, wie viele Gedanken eigentlich hinter so einem Posting stecken (können) und dass es eben meistens nicht nur einfach runtergeschriebener Text ist. Diese Darstellung der sozialen Medien ist hier sehr gut gelungen, und gerade die Einschübe der beschriebenen Post lockern den Lesefluss enorm auf. Besonders schön ist auch die subtile Anspielung des Titels – schließlich ist die Schneeflocke nicht nur ein federleichtes und hübsches Eiskristall, das vom Himmel fällt und die Welt ruhiger und sanfter wirken lässt, sondern auch ein Begriff, der öfter in den sozialen Medien verwendet wird und eine Person beschreibt, die überempfindlich und leicht zu beleidigen ist. Diese Parallele zur erzählten Geschichte wird dem Leser erst nach näherem Betrachten der Geschehnisse im Buch bewusst und ist geschickt eingebunden.

Insgesamt ist Sif Sigmarsdóttirs Debüt sehr facettenreich, aber auch größtenteils vorhersehbar. Vieles ergibt sich aus dem Kontext, lediglich mit dem Ende erwartet den Leser eine wirklich überraschende Wendung. Das dunkle Flüstern der Schneeflocken ist kein einfach zu lesendes und zu verstehendes Buch, das allerdings mit wichtigen aktuellen Bezugsthemen arbeitet. Für jugendliche Leser ein gelungener Ausflug ins Nordic Noir-Genre, für Interessierte außerhalb der Zielgruppe aber vielleicht nicht immer ganz nachvollziehbar und an mancher Stelle ein wenig zu seicht. Ein solides Debüt, das mit einem als Cliffhanger anmutenden Abschluss durchaus Lust auf mehr macht.


Fazit:

Das dunkle Flüstern der Schneeflocken spielt mit sehr vielen verschiedenen Themen wie dem schönen Schein in den sozialen Medien, Macht- und Datenmissbrauch, psychischen Krankheiten, sexual assault, Rachegedanken, Manipulation und Erfolgsdruck. Vor der atemberaubenden Kulisse von Island im Winter schafft Sif Sigmarsdóttir einen düsteren und melancholischen Nordic Noir-Thriller inklusive vielseitiger Gesellschaftskritik für Jugendliche, der trotz einiger Schwachpunkte durchaus nette Lesestunden bereiten kann.



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