Das Wesen (Arno Strobel)

Das Wesen (Arno Strobel)

Klappentext:

Ein verurteilter Psychiater und ein besessener Kommissar – ein erbittertes Psychoduell um Schuld und Rache.

Ein kleines Mädchen stirbt, und der Hauptverdächtige wandert in den Knast – unschuldig? 15 Jahre später:
Wieder verschwindet ein Kind, und der Albtraum beginnt von vorn – für die Ermittler und den Täter von damals.

Wie gefährlich ist Gerechtigkeit?


Rezension:

»Mit dem Wesen wird die beständige Eigenschaft bezeichnet, die alles – auch ein Mensch – zwingend haben muss, um existent zu sein, Herr Hauptkommissar. Im Gegensatz zum Schein beschreibt das Wesen das unverfälscht Wahre, das Ureigene einer Sache oder eines Individuums. Das wirkliche Wesen erschließt sich also nicht durch die Wahrnehmung mit unseren Sinnen, sondern nur durch das Nachdenken darüber. Sagt Platon.«
(Dr. Joachim Lichner zu Hauptkommissar Seifert, Seite 182)

Vor fünfzehn Jahren wurde Dr. Joachim Lichner des Mordes an der kleinen Juliane schuldig gesprochen und ins Gefängnis gesteckt – zu Unrecht, wie er all die Jahre beteuert. Als er nach dreizehn Jahren wegen guter Führung wieder entlassen wird, liegt alles in Scherben, was er sich im Leben aufgebaut hat. Doch nach knapp zwei Jahren der Ruhe nach dem Knast scheint der ganze Alptraum wieder von Neuem zu beginnen – die Polizei erhält einen anonymen Anruf, dass Lichners Tochter verschwunden ist. Der erste Verdacht fällt natürlich auf den ehemaligen Verurteilten, doch ist er wirklich so abgebrüht und würde seine eigene Tochter entführen und sie umbringen?
Für Hauptkommissar Menkhoff ist die Sache klar, doch sein Kollege und Partner Seifert konnte sich die ganzen Jahre nicht der leisen Zweifel erwehren, die all die zufälligen Gegebenheiten in ihm wachgerufen haben. War die Verurteilung vor fünfzehn Jahren richtig oder haben sie den Falschen verhaftet, läuft der eigentliche Mörder noch immer frei durch die Gegend? Und welche Rolle spielt Nicole Klement, die damalige Lebensgefährtin Lichners, die erst für, dann gegen ihn aussagte und nach seiner Freilassung eine neue Beziehung mit ihm einging?

Arno Strobel liefert mit Das Wesen nur ein knappes halbes Jahr nach seinem Debüt einen neuen, dieses Mal etwas überzeugenderen Psychothriller, der unter die Haut geht. Ein Ermittlerduo, das unterschiedlicher Meinung ist, eine psychisch labile ehemalige Lebensgefährtin, die nicht nur mit dem Verurteilten liiert war, und ein ehemaliger Sträfling, der sich sehr gut mit dem menschlichen Denken auskennt – das sind die Hauptpersonen, um die sich Strobels zweites Wagnis dreht. Sehr geschickt werden hier Fäden gezogen und miteinander verflochten, die einzelnen Protagonisten gehen auf in ihren Rollen und scheinen perfekt aufeinander abgestimmt zu sein. Gemeinsam mit den Hauptkommissaren ermittelt der Leser und rollt dabei auch den alten Fall nochmals auf. In Form von Rückblenden und Zeitsprüngen werden Einzelheiten des alten Falles unter neuem Licht betrachtet und Seiferts verdrängte Zweifel kommen wieder an die Oberfläche. Neben dem dadurch angeknacksten Vertrauen zu seinem langjährigen Partner kommt das immer häufiger auftretende Unverständnis für die Besessenheit Menkhoffs, dass Lichner in jedem Fall der Täter sein muss. Nichts anderes kommt in Frage, jeder von dieser Tatsache abweichende Gedanke wird nicht zu Ende gedacht und achtlos zur Seite gefegt. Als dann auch noch Nicole, die vor dessen Verurteilung mit Lichner eine mehrjährige Beziehung führte, wieder auf der Bildfläche auftaucht und in den aktuellen Fall verwickelt zu sein scheint, und außerdem Menkhoffs kleine Tochter aus dem Kindergarten entführt wird, brennen bei diesem sämtliche Sicherungen durch. Für ihn steht fest: Lichner muss wieder hinter Gitter und darf nie wieder rauskommen, um der Sicherheit aller kleinen Mädchen willen.

Der Sprung, den der Autor zu seinem Debüt gemacht hat, zeichnet sich deutlich ab. Es gibt einen klaren Spannungsbogen, der durch die Rückblenden zum alten Fall nur noch verstärkt wird. Obwohl bei diesen Rückblenden immer klar ist, worauf das Ganze hinausläuft, fiebert der Leser bei den Ermittlungen mit, bis der Verdächtige schließlich überführt ist. Während des laufenden Falles hingegen scheint gar nicht so eindeutig zu sein, dass Lichner erneut einem Mädchen wehgetan hat. Auch beim Leser werden Zweifel geweckt, ob die damalige Ermittlung getürkt und Lichner unschuldig verurteilt wurde. Strobel versteht es hier sehr gut, für Verwirrung zu sorgen und immer wieder neue Details so einzuflechten, dass es immer wieder überraschende Wendungen zu entdecken gibt, wodurch das Ende umso spektakulärer, wenn auch nicht in allen Punkten hundertprozentig nachvollziehbar wird.

Schlussendlich kann man sagen, dass eine deutliche Steigerung zum Vorgängerroman zu erkennen ist. Die Art, wie Arno Strobel schreibt und seine Netze flicht, macht Lust auf mehr. Vor allem die Leseprobe am Ende des Buches, die einen kleinen Vorgeschmack auf Strobels dritten Psychothriller gibt, verspricht eine erneute Steigerung des Lesegenusses. Man darf also gespannt sein, was der mögliche neue Stern am deutschen Psychothriller-Himmel noch aus seinem Stift zaubert.


Fazit:

Im Vergleich zum Vorgänger gesehen konnte sich Das Wesen in allen Punkten leicht steigern. Zwar reicht es zur vollkommenen Überzeugung noch immer nicht aus, doch Arno Strobel befindet sich auf einem guten Weg, einen festen Platz im deutschen Psychothriller zu ergattern. Mit Spannung wird das nächste Buch erwartet.




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eine Kommentar
  1. Renate sagt:

    Eine wunderbare Rezension. Danke

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