Der Mann, der den Regen träumt (Ali Shaw)

Der Mann, der den Regen träumt (Ali Shaw)

Über das Buch:

Nach dem Tod ihres Vaters lässt Elsa alles hinter sich und flüchtet aus ihrem bisherigen Leben an einen abgelegenen Ort. Thunderstown ist ein kleines, einsames Städtchen und hier, so sagt man, erwacht das Wetter zum Leben. Genau das glaubt Elsa zu erleben, als sie zum ersten Mal auf Finn trifft, der zurückgezogen in den Bergen lebt, die das Dorf umschließen. Finn ist kein gewöhnlicher Mann, ihn umgibt ein Geheimnis. Es ist der Grund für sein Einsiedlerleben und der Grund, warum die Einwohner von Thunderstown ihm nicht wohlgesinnt sind. Doch trotz aller Gerüchte und Anfeindungen hält Elsa zu Finn. Gemeinsam versuchen sie, ihre Liebe gegen all die Widerstände zu behaupten.


Rezension:

Der Regen begann mit einem einzelnen sanften Tippen an ihr Schlafzimmerfenster, dann noch eins und noch eins, und schwoll schließlich zu einem stetigen Prasseln gegen die Scheibe an. Sie zog die Vorhänge auf und erblickte einen Himmel wie aus angelaufenem Silber, ohne eine Spur von Sonne. Sie hatte so sehr auf einen solchen Morgen gehofft, dass sie einen leisen Seufzer der Erleichterung ausstieß.
(Seite 7)

Als Elsa eines Morgens vom Regen geweckt wird, setzt sie einen schon lange gefassten Entschluss endlich in die Tat um und verlässt entgegen aller Einwände ihrer Mutter das bekannte Umfeld, um weit weg ein neues Leben anzufangen. In Thunderstown erwartet sie eine neue Wohnung, ein neuer Job, ein neues Leben. Es hat sie einige Mühe gekostet, diesen kleinen Ort ausfindig zu machen, doch alles in ihrem Inneren verspricht, dass es die richtige Entscheidung war. Sie macht sich auf den Weg und erkundet das Städtchen, begibt sich auch in die umliegenden Berge und entdeckt dort so manches, das ihr wie ein Wunder vorkommt. Auch als sie auf Finn trifft, ist irgendwas anders – etwas scheint in der Luft zu liegen. Und dann ist er plötzlich verschwunden. Doch Elsas Neugier ist stärker als die Angst, unhöflich und aufdringlich zu sein, weshalb sie sich auf die Suche nach ihm macht, sich schließlich verläuft und zufällig auf seine in den Bergen versteckte Hütte stößt. Aller Abwehr zum Trotz besucht Elsa Finn immer wieder und kommt durch vorsichtiges Herantasten schließlich hinter sein Geheimnis – welches sie jedoch nicht abschreckt, sondern ihr nur noch mehr Grund gibt, zu Finn zu halten. Denn Elsa weiß, wie es ist, sich anders zu fühlen.

Ali Shaw konnte mit seinem Debüt-Roman Das Mädchen mit den gläsernen Füßen zahlreiche Leser begeistern und in den Bann seiner poetischen Sprache ziehen. Mit einer anderen Geschichte an einem anderen Ort, jedoch nicht weniger schön geschrieben nimmt er den Leser auch mit Der Mann, der den Regen träumt gefangen – und wird zumindest in diesem Punkt allen in seinen zweiten Roman gesetzten Erwartungen überaus gerecht. Während sein Debüt aber auch mit einer gehaltvollen Geschichte aufwarten konnte, scheint sich im Nachfolger keine wirkliche Story entfalten zu wollen. Natürlich entwickelt sich hier und da eine kleine Erzählung, die durchaus lesenswert ist, im Gesamtbild bleibt der Leser allerdings immer in Erwartungshaltung und hofft, beim Umblättern der Seite endlich mehr zu bekommen als nur eine schöne Sprache. Seine Hauptcharaktere hat Ali Shaw in diesem zweiten Buch wieder sehr zart und zerbrechlich gestaltet, vieles lässt hier ganz instinktiv an das Glasfußmädchen denken, das auf ganzer Linie überzeugen konnte. Der Regenträumer Finn und seine Elsa bleiben jedoch im direkten Vergleich eher blass, und das ist wahrscheinlich das Gefährliche an richtig erfolgreichen Debütromanen: Die Messlatte für die Nachfolger ist enorm hoch und nur selten ist ein Autor wirklich in der Lage, an diesen Erfolg anzuknüpfen.

Der Versuch, Der Mann, der den Regen träumt als eigenständigen Roman zu betrachten, fällt recht schwer, was dem Buch gegenüber unfair ist, sich aber leider nicht vermeiden lässt. Ali Shaw hat einen wunderschönen Sprachstil, der zum Träumen einlädt und bei dem man am liebsten ganze Kapitel mit einer Markierung versehen und diese dann in seine Lieblingszitate-Sammlung aufnehmen möchte. Es wird hier wunderbar mit den Kräften der Natur und der Schönheit von Gewittern gespielt und all diese kleinen Punkte machen den Nachfolger von Das Mädchen mit den gläsernen Füßen zu einem durchaus lesenswerten Roman, bei dem vor allem Sprachliebhaber, Romantiker und verträumte Menschen voll auf ihre Kosten kommen werden. Leser, die viel Wert auf Handlung legen, werden hier möglicherweise etwas enttäuscht sein. Vielleicht gibt es aber auch einen bestimmten Zeitpunkt, an dem man dieses Buch lesen sollte, bei einem wütenden Sturm beispielsweise oder an einem richtig kalten Winterabend vor dem prasselnden Kamin. In der richtigen Atmosphäre ist mit Sicherheit auch der Regenträumer ein echtes Lesehighlight – nicht nur optisch und sprachlich gesehen.


Fazit:

Auch in Der Mann, der den Regen träumt kann Ali Shaw wieder mit einer unglaublich schönen poetischen Sprache aufwarten, die jedoch nicht über den Mangel von Handlung hinweg täuschen kann. Die Geschichte um Elsa und Finn ist gefühlvoll und stürmisch wie ein Unwetter, findet aber leider keinen richtigen Abschluss, sodass der Leser mit einigen Fragezeichen zurückbleibt – zu vielen, um sie der eigenen Fantasie überlassen zu wollen. Für Sprachliebhaber und Romantiker eine schöne Geschichte, für alle anderen gute Unterhaltung.




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