Des Todes dunkler Bruder (Jeff Lindsay)
Knaur, 1. Auflage Mai 2005
Originaltitel: Darkly Dreaming Dexter
Aus dem Amerikanischen von Frauke Czwikla
Taschenbuch, 352 Seiten
EUR (D) 8,95 | (A) 9,20
ISBN: 978-3-426-62807-2
Genre: Psychothriller
Klappentext:
Dein Freund, dein Helfer – dein Mörder
Dexter Morgan arbeitet als Spezialist für Blutanalysen bei der Polizei von Miami – und mordet gerne. Aber seine Morde dienen einem höheren Zweck: Jedes Mal, wenn er zuschlägt, erwischt es einen ganz gewöhnlichen, brutalen Killer. Einer weniger! Doch als plötzlich ein zweiter Serienkiller auftaucht, der es ebenfalls nur auf die schlimmsten Täter abgesehen hat, gerät Dexters wohlgeordnetes Leben völlig aus den Fugen. Offensichtlich legt es der Andere darauf an, ihn herauszufordern …
Rezension:
Spätestens seit der auf RTL II ausgestrahlten Serie dürfte Dexter Morgan zumindest den Fans von ansprechenden Thriller-Plots und verqueren Protagonisten ein Begriff sein. Die auf der Psychothriller-Reihe von Jeff Lindsay, mit bürgerlichem Namen Jeffrey P. Freundlich, basierende Krimi- und Dramaserie mit zahlreichen Elementen des schwarzen Humors gehört zu den erfolgreichsten im US-amerikanischen Fernsehen. Und auch die Bücher verkaufen sich praktisch von selbst – doch was ist eigentlich so besonders an Dexter Morgan? Was zeichnet ihn aus, was macht ihn zum so erfolgreichen Protagonisten?
Auf den ersten Blick bietet der junge Mann, der im Alter von drei Jahren von Harry Morgan adoptiert wurde, nicht wirklich mehr als eine offensichtliche psychische Störung zu bieten: Seit einem Erlebnis in der Kindheit, das ihn schwer traumatisiert hat, ist er nicht mehr zu Gefühlen und emotionalen Bindungen fähig. Und von Zeit zu Zeit bekommt er „Besuch“ vom Dunklen Passagier, der in ihm die unbändige Lust zu töten weckt und ein ums andere Mal das Steuer übernimmt. Sein daraus resultierendes, zwangsläufiges Doppelleben hat er gut im Griff, denn sein Ziehvater hat Dexters „Problem“ früh erkannt und ihm ein sogenanntes Regelwerk für den Umgang mit dem Dunklen Passagier nahegelegt. Durch seine Beziehung zu Rita, einer zweifachen Mutter, die von ihrem Ex-Ehemann geschlagen wurde und somit ebenfalls bindungsunfähig ist, verschafft Dexter sich zumindest nach außen hin eine Art normales Leben, um im Verborgenen weiterhin seine Morde zu begehen – natürlich nur an Personen, die es verdient haben, vorzugsweise solche, die Kindern etwas angetan haben. Dexter hat eine besondere Beziehung zu Kindern, zwar nicht auf emotionaler Ebene, aber doch besteht da eine Verbindung, die man vielleicht mit seinem verdrängten Erlebnis aus der eigenen Kindheit erklären kann.
Der Klappentext führt den Leser ein wenig in die Irre, denn der zweite Serienmörder, an dessen Fersen Dexter – wenn auch aus völlig anderen Gründen als seine Kollegen – sich haftet, bringt keineswegs die „schlimmsten Täter“ zur Strecke, sondern wahllose Prostituierte. Das ist auch der Grund, warum Dexters Ziehschwester Deborah überhaupt ins Ermittlungsteam kommt – sie ist nämlich undercover im Auftrag der Sitte unterwegs und somit im Milieu bekannt. Deshalb fällt ihr in erster Linie auch die Befragungsarbeit zu, von der der Leser nichts mitbekommt – aus gutem Grund, denn Deb möchte weg von der Sitte und zur Mordkommision wechseln. Da das nicht so einfach ist, wie es klingt, sieht sie ihre Chance im aktuellen Fall – und hofft auf Dexters Hilfe, der so natürlich einmal mehr in einen moralischen Zwiespalt gelangt. Denn er ist fasziniert von der genauen Vorgehensweise des Killers und möchte eigentlich gar nicht, dass dieser so schnell gefasst wird. Abgesehen davon kann Dexter in seinem Job nicht viel beitragen – denn die Leichen, säuberlich in ihre ordentlich und einzeln verpackten Gliedmaßen zerteilt, sind blutleer. Dies hat für den Täter eine besondere Bedeutung, was Dexter sofort weiß. Doch welcher besondere Grund dahinter steckt, erfährt sowohl er als auch der Leser erst mit der Aufklärung des Falles. Im Laufe des Buches kommen einige Verdachtsmomente auf, von denen aber keine lange Bestand hat. Auch die teilweise naheliegenden und plausibel rübergebrachten Vermutungen Dexters verlaufen sich im Sande, obwohl niemand – weder der Leser noch Dexter selbst – ahnt, wie nahe seine Gedanken der Wahrheit kommen, wenn man den Blickwinkel ein wenig verändert.
Mit sämtlichen Charakteren, nicht nur mit der Hauptperson selbst, hat sich Jeff Lindsay sehr viel Mühe gegeben. Dexters Handlungen erscheinen trotz allem nachvollziehbar, selbst seine Gedanken, die manchmal unglaubliche Sprünge machen und ziemlich verwirren können, ergeben einen umfassenden Zusammenhang, den man nur nicht auf den ersten Blick erkennt. Vor allem die Vielseitigkeit der zahlreichen Charaktere, die trotz ihrer Vielzahl in einem gesunden Gleichgewicht zum Einsatz kommen, versetzt den Leser in Erstaunen – fast jede benötigte Persönlichkeit ist vorhanden und so gut in die Plot eingewoben, dass man das Gefühl hat, ohne den einen oder anderen würde der Geschichte etwas fehlen. Auch zwischen Sym- und Antipathie hält der Autor sich die Waage, obwohl das wahrscheinlich von Leser zu Leser unterschiedlich ist.
Trotz des ernsten Themas und dem normalerweise auch eher ernsthaften Genre finden sich immer wieder Stellen, die einen zum Schmunzeln bringen. Lauthalses Lachen bleibt zwar aus, jedoch gibt es immer wieder Momente, wo der Leser das Buch einen Augenblick zuklappt oder zur Seite legt, um mit einem Grinsen über das eben Gelesene nachzudenken. Schwarzer Humor findet sich en masse in Des Todes dunkler Bruder wieder und passt sowohl zur Story als auch zum Charakter Dexters.
Einzig das Finale und damit das Ende des ersten Bandes lässt zu wünschen übrig. Ohne zu erklären, was genau dort vor sich gegangen ist, verrät der Autor die Identität des Killers, die übrigens für eine echte Überraschung sorgt, und lässt ihn dann entkommen – ein absichtlich offenes Ende? Fragwürdig, aber wohl nur rauszufinden, wenn man sich mit den Folgebänden beschäftigt.
Während Amerika sich bereits auf die Veröffentlichung des fünften Teils Dexter is delicious am 07. September freuen darf, muss die deutsche Fan-Gemeinde sich noch bis November gedulden, ehe es die Übersetzung des vierten Bandes Die schöne Kunst des Mordens im deutschen Handel geben wird.
Fazit:
Wer die auf den Romanen basierende Serie kennt, wird vom ersten Band der Dexter-Morgan-Reihe wahrscheinlich ein wenig enttäuscht sein. Fans von menschlichen Abgründen und verworrenen Psychen, die der Verfilmung bisher aus dem Weg gegangen sind, dürften Gefallen an dem Blutanalytiker und seinem dunklen Passagier finden. Als Auftakt zu einer mehrteiligen Psychothriller-Reihe eignet sich Des Todes dunkler Bruder hervorragend – gerade verquer genug zum Anfüttern.
Wertung:
Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5
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