Die Mutter (Brett McBean)
Klappentext:
Betet für meine Seele.
Sie steht seit Monaten am Rande des dröhnenden Highways und fährt per Anhalter. Längst hat sie ihren Namen vergessen, wer sie ist, woher sie kam. Sie lebt nur noch, um den Mörder ihrer Tochter zu finden. Ihr einziger Hinweis: Auf dem linken Arm trägt der Mann ein Tattoo: STIRB MUTTER. Jeder Fahrer, der sie mitnimmt, könnte der Killer sein – oder jemand viel Schlimmeres …
Rezension:
“Wir machen alle üble Scheiße durch. Das ist nichts Einzigartiges.“
(Seite 325)
Sie war Mutter mit Leib und Seele, beschützte ihre Tochter mit allen ihr möglichen Mitteln und hielt sogar deren Vater von ihr fern. Doch als die Tochter entscheidet, dass sie ihren Vater kennen lernen möchte, verschwindet sie mitten in der Nacht und kehrt nie wieder zurück – beim Trampen wird sie ermordet. Seit dieser Nachricht zieht die Mutter durch die Gegend, reist den Highway rauf und runter, nimmt per Anhalter jede Mitfahrgelegenheit wahr. Sie weiß nicht mehr, wie ihr richtiger Name ist, schlüpft für jeden, der sie mitnimmt, in eine neue Rolle. Das einzige, was an ihr noch der Wahrheit entspricht, ist der Schmerz, den sie wie ein offenes Buch mit sich rumträgt. Durch das Schicksal ihrer Tochter weiß sie von Anfang an, wie gefährlich ihre Suche nach dem Mörder ihrer Tochter ist, doch das interessiert sie nicht länger. Ihr eigenes Leben hat nur noch den einen Sinn, den Mann für das zu bestrafen, was er ihrer Tochter angetan hat. Was sie dafür auf sich nimmt, ist sehr viel mehr, als ein Mensch aushalten kann. Etwas, das nur eine Mutter für ihr Kind auf sich nehmen würde. Bis zum Ende. Bis sie den Mörder gefunden und ihre Tochter gerächt hat.
Wenn man sich den Klappentext anschaut, nimmt man an, dass man wieder einen gewöhnlichen Psychothriller in der Hand hält – ein Buch, das vielleicht mit ein bisschen Blut und etwas Spannung unterhalten kann, aber nach dem Lesen auch schnell wieder in Vergessenheit gerät. Doch Brett McBeans Debüt überrascht und liefert weit mehr als das. Schockierend brutal und erschreckend hart wird der Leser von der ersten Seite an in die Geschichte einer Frau geschleudert, die das Schlimmste im Leben durchgemacht hat und noch lange nicht am Ende ihrer Reise ist. Man erfährt nicht viel über diese Frau, weil sie selbst gar nicht mehr weiß, wer sie eigentlich ist, weil ihr ganzes Denken sich nur auf diese eine ihr noch verbliebene Aufgabe konzentriert und alles andere zur Nebensache verblasst. Und doch baut man sehr schnell eine Verbindung zu ihr auf, nimmt sehr schnell Anteil an ihrem Schicksal und begibt sich nicht nur lesend mit ihr auf die Suche, sondern hofft bei jedem neuen kranken Hirn, das sie trifft, dass es sich endlich um Mörder ihrer Tochter handelt. McBean schafft es auf eine sehr erstaunliche Weise, die dunklen Abgründe der Menschheit sehr plastisch darzustellen, ohne dabei geschmacklos zu werden, obwohl es zeitweise wirklich extrem hart zur Sache geht. Jeder einzelne Charakter erhält seine eigene Farbe, wobei erstaunlich viele Schattierungen von Schwarz dargestellt werden können – neben der mitunter unappetitlichen körperlichen und seelischen Folter, die die Protagonistin erleiden muss, ist der Autor auch in der Lage, unterschiedliche Menschen sehr realistisch zu beschreiben.
Neben den aktuellen Begegnungen auf dem Highway, wird dem Leser die Hintergrundgeschichte in einer Art Brief nahe gebracht. So bekommt die Frau mit unbekanntem Namen ebenfalls eine eigene Stimme und der Leser kann so zwar nicht unbedingt die Mutter besser kennen lernen, versteht jedoch mehr und mehr ihren Drang. Dass dabei auch die Tochter einen Namen und ein Gesicht bekommt, die Mutter hingegen weiterhin weitgehend anonym bleibt, macht einen gewissen Reiz des Buches aus. Die Offenheit, mit der die Geschichte erzählt wird, ist erschreckend und erfrischend zugleich – Brett McBean hat eine angenehme Art zu schreiben, sodass zwar Unmengen von sehr detaillierter Gewalt auf so manchen Magen schlagen dürften, der Leser aber trotzdem flüssige Unterhaltung geboten bekommt. Wenn man mit knallharten Fakten und ungeschönten Beschreibungen umgehen kann, findet man in diesem Buch eine Geschichte mit Geschmack.
Sicherlich ist derart ge- und beschriebene Gewalt reine Geschmackssache und mancher Leser wird das Buch mit einem angewiderten Gefühl beiseite legen. Manch anderer hält durch und wird vom Ende möglicherweise enttäuscht. Doch in einem dürften sich alle, die dieses Buch in die Hand nehmen – unabhängig davon, ob nur ein paar Kapitel oder jeder einzelne Buchstabe gelesen wird –, darüber einig sein, dass Brett McBean ein neuer Stern am Psycho- und Horrorthriller der harte Sorte ist. Von diesem Mann wird man noch viel lesen – vorausgesetzt, man hält es aus.
Fazit:
Man braucht starke Nerven und einen unempfindlichen Magen, wenn man Die Mutter wirklich lesen möchte. Brett McBean schreibt verstörend real und detailreich, scheint keinerlei Hemmungen zu kennen und fordert seine Leser aufs Gröbste heraus. Ein überraschendes Ende versetzt zudem in Erstaunen und lässt grübeln, wozu ein Verlust einen Menschen bringen kann. Extrem hart an der Grenze, aber überaus gelungen!
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