Du bist das Gegenteil von allem (Carmen Rodrigues)
Klappentext:
Und ich lag da, erdrückt vom Gewicht meiner Angst
Die 16-jährige Ellie hatte etwas Besonderes an sich. Etwas Dunkles, Charismatisches, Gebrochenes … Jetzt ist sie tot. Gestorben an einer Überdosis Tabletten. Zurück bleiben ihr Bruder Jake, ihre beste Freundin Sarah und deren jüngere Schwester Jess – und vierunddreißig Zettel von Ellie in einem Schuhkarton. Vierunddreißig Hinweise, die Ellie hinterlassen hat. Vierunddreißig Geheimnisse eines viel zu kurzen Lebens voller Schmerz. Auf der Suche nach dem Warum müssen sich Jake, Sarah und Jess nicht nur ihren eigenen Abgründen stellen, sondern auch dem, was Ellie so lange vor ihnen verborgen hat …
Rezension:
Ich bin mir sicher, dass ich mich mitten auf die Straße stellen könnte und nicht überfahren werden würde. Ich bin unsichtbar. Mich gibt es gar nicht.
(Zettel Nummer 9)
Als die 16-jährige Ellie durch eine Überdosis Tabletten ums Leben kommt und ihre beste Freundin Sarah, die an diesem Abend mit ihr zusammen war, in der Notaufnahme landet, verändert sich alles im Leben der lockeren Clique um die beiden Mädchen. Neben Ellies Bruder Jake, der zum Studieren nach New York gegangen ist, und dessen Kumpel Tommy gehört auch Sarahs jüngere Schwester Jessie zu der eingeschworenen Gruppe, die trotz aller Verbundenheit mit einigen Geheimnissen zu kämpfen hat. Während Sarah in eine Art Lethargie verfällt und niemanden mehr wirklich an sich heran lässt, versucht Tommy weiterhin erfolg- und aussichtslos, ihre Liebe zu gewinnen. Jake kämpft mit seinen Schuldgefühlen, weil er das Versprechen vor seiner Abreise, immer für Ellie da zu sein und sofort zurück zu kommen, wenn sie ihn braucht, nicht einhalten konnte. Und Jessie plagen ganz andere Gefühle, denn ihr Geheimnis ist keines, das sie mit irgendwem teilen kann – außer mit Ellie. Was die Situation für alle Beteiligten noch schwerer macht, ist die Frage, die niemand wirklich beantworten kann: War Ellies Tod ein schrecklicher Unfall oder geplante Absicht?
Du bist das Gegenteil von allem – allein der Titel im Zusammenspiel mit dem einfachen, aber doch blickfangenden Cover verspricht dem Leser einen besonderen Jugendroman. Und den hat Carmen Rodrigues durchaus geschaffen. Gemeinsam mit den Protagonisten schickt sie den Leser anhand von 34 kleinen Zetteln auf die Suche nach der Wahrheit um Ellies Tod und ihre Geheimnisse. Obwohl Ellie selbst nicht mehr agieren kann, erfährt man durch den Schuhkarton voller Gedanken und durch die aus drei verschiedenen Perspektiven erzählten Erinnerungen und aktuellen Geschehnisse sehr viel über das junge Mädchen, das immer etwas anders als alle anderen war. Dabei bedient sich die Autorin einer sehr ruhigen, tiefgehenden Sprache und schafft es durch eine eher stille Atmosphäre, den Leser zu fesseln, ohne dabei zu viel preiszugeben. Vieles muss der Leser sich selbst denken, wobei die Andeutungen in eine unumgängliche Richtung weisen, ohne dabei auf ein bestimmtes Urteil abzuzielen. Wie für die Protagonisten ist auch für den Leser offen gehalten, wie er mit der Geschichte umgehen möchte. Genau diese Mischung aus Dargelegtem und Selbstgedachtem macht Du bist das Gegenteil von allem zu einem besonderen Leseerlebnis, das seine Macht erst während des Lesens und vor allem nach dem Beenden des Romans entfaltet.
Während sich einige Szenen sehr leicht lesen lassen, bergen andere Kapitel durchaus nur schwer verdaulichen Stoff. Gerade atmosphärisch versteht Carmen Rodrigues es sehr gut, den Leser durch ihren zweiten Roman zu führen. Nahezu seitenweise verändert sich die Stimmung, teilweise gibt es sogar Anlass zum Lächeln, obwohl der rote Faden meist eher düster und beklemmend gestaltet ist. Vor allem in Szenen, in denen Ellie durch die Erinnerungen ihrer Freunde zu Wort kommt, schaffen eine sehr eigene Atmosphäre, die trotz der jugendlichen Charaktere durchaus auch erwachsene Leser begeistern und mitreißen kann. Auch die zahlreichen, teilweise leider nur angerissenen Problemthematiken, mit denen sich so mancher Jugendliche auseinander setzen muss, sind nicht zwangsläufig nur für die angedachte Zielgruppe verständlich und nachvollziehbar. Dadurch wird Du bist das Gegenteil von allem seinem Titel mehr als gerecht, denn klassische Bestandteile findet man hier kaum, sodass der Roman irgendwie das Gegenteil von allen Genres ist – gleichermaßen für junge und ältere Leser geeignet, gleichermaßen mit leiser Melancholie und zurückhaltender Heiterkeit zu lesen, gleichermaßen Fragen stellend und beantwortend. Eine echte Leseempfehlung für Fans von ruhigeren, aber tiefgehenden Geschichten, bei denen der eigene Kopf gerne auch eine Rolle spielen darf.
Ein Traum: du und ich lesend auf dem Bett.
Keiner sagt etwas.
Aber ich fühle mich geborgen.
(Zettel Nummer 21)
Fazit:
Du bist das Gegenteil von allem kommt mit einer Geschichte daher, die viele Facetten aufweist. Es geht um Freundschaft und Liebe, um Selbstverletzung und Drogenmissbrauch, um Geheimnisse und um 34 kleine Zettelchen in einem Schuhkarton, die Stück für Stück Licht ins Dunkel bringen. Carmen Rodrigues reißt viele Themen an, ohne dabei zu konkret zu werden, sodass der Leser vieles selbst interpretieren und entwirren muss. Trotzdem ist die Botschaft eindeutig und gibt diesem Roman eine ganz besondere Stimme, die trotz ihrer leisen Sanftheit noch lange nachhallt und nicht nur jugendliche Leser berühren kann.
Zurück zu:
Raum 213 – Falsche Furcht (Amy Crossing) Weiter mit:
Die Buchspringer (Mechthild Gläser)