Dunkler Wahn (Wulf Dorn)
Heyne, 1. Auflage September 2011
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 432 Seiten
€ 17,99 [D] | € 18,50 [A] | CHF 25,90
ISBN: 978-3-453-26705-3
Leseprobe
Genre: Psychothriller
Klappentext:
Sie liebt. Sie lauert. Sie tötet.
Ein Rosenstrauß ohne Absender. Geschenke vor der Haustür. Briefe unter dem Scheibenwischer … Der Psychiater Jan Forstner wird von einer Unbekannten mit Liebesbezeugungen überhäuft. Anfangs glaubt Jan noch an die harmlose Schwärmerei einer ehemaligen Patientin. Doch dann bittet ihn ein Journalist um Mithilfe im Fall einer geistig gestörten Person und wird kurz darauf ermordet. Jan erkennt, dass er ins Visier einer Wahnsinnigen geraten ist. Und seine Verfolgerin schreckt vor nichts zurück.
Rezension:
„Sag mal, Herr Doktor, in der Psychologie gibt es doch einen Ausdruck für das Verliebtsein, nicht wahr? Ich habe irgendwann mal davon gelesen. Es war irgendwas mit L. Lema … Lima …“
„Du meinst Limerenz?“
„Limerenz, richtig. Was genau geschieht da mit uns?“
„Nun ja“, Jan zuckte mit den Schultern, „ganz unromantisch gesagt: Du lernst jemanden kennen, der aufgrund mehrerer Faktoren deinem Partnerschema entspricht, und dein Körper beginnt Hormone auszuschütten. Dopamin, Serotonin, Oxytocin und noch einige andere, die dich wie auf Wolken schweben lassen. Dein Wahrnehmungsspektrum verengt sich und alles, was dann noch zählt, ist die Person, in die du dich verliebt hast.“
[…]
„Aber wenn es wirklich die Richtige ist, wird ein reiferes Gefühl daraus werden.“
[…]
„Sag, Jan, was wäre eigentlich, wenn es nicht mehr aufhört? Was wäre, wenn die Verliebtheit, diese Limerenz, für immer andauern würde, statt zu etwas Vernunftgesteuertem zu werden?
„Willst du es wirklich wissen?“
„Deshalb frage ich ja.“
Jan ließ den Finger neben der Schläfe kreisen. „Dann würdest du verrückt werden.“
Knapp ein Jahr nach der späten Aufklärung des Verschwinden seines Bruders hat sich Jan Forstner entgegen der ursprünglichen Pläne doch in Fahlenberg, seiner ehemaligen Heimatstadt, niedergelassen und sein ehemaliges Elternhaus bezogen. Mit seinem Nachbarn verbindet ihn weiterhin eine enge Freundschaft, die Arbeit in der Waldklinik füllt ihn gänzlich aus, lediglich seine Beziehung mit Carla ist zur Zeit ein wenig schwierig – denn Carla hat die Geschichte seines Bruders in Form eines Romans veröffentlicht und damit recht erfolgreich – Jan ist davon natürlich nicht sonderlich begeistert, weshalb der Haussegen ein wenig schief hängt. Zum Zeitpunkt des Geschehens ist Carla gerade auf Lesereise, um das Buch weiterhin vorzustellen und zu verbreiten; außerdem ist bereits ein weiteres in Planung. Durch die Differenzen ist für Jan und Carla unklar, wie ihre Beziehung weitergehen soll – doch gerade diese Differenzen, Carlas Abwesenheit und die Tatsache, dass Jan seit mehreren Tagen nichts von ihr gehört hat, sind der Grund, warum sich Jan erst einmal rein gar nichts dabei denkt, als ihm eines Tages ein Strauß roter Rosen ins Klinikbüro geliefert wird. Und das soll nur der Anfang einer langen, verwirrenden und sehr viele Zweifel weckenden, nicht besonders angenehmen Geschichte werden, die ein unschönes Ende bereit hält und Jan so einiges über die menschlichen Abgründe lehren wird …
Anfangs aus drei Perspektiven – nämlich die des Stalkingopfers Jan, die der stalkenden Person und eines weiteren tragenden Charakters – erzählt Wulf Dorns dritter Roman die Geschichte einer krankhaften Liebe und welchen Rattenschwanz eine solche nach sich ziehen kann. Eindrücklich wird in Dunkler Wahn dargestellt, wie selbst kleinste unbedachte Gesten die Illusion füttern und anheizen können und wie schwierig es ist, richtig zu entscheiden und richtig zu handeln. Erschreckend realitätsnah führt Jan Forstners zweites „Abenteuer“ dem Leser vor Augen, wie leicht die Grenze zum Wahn überschritten werden kann und dass die Gefahr dieser Grenzüberschreitung in jedem von uns schlummert – es muss nur der oder die Richtige in unser Leben treten, um den Auslöser zu aktivieren. Und obwohl der Zeitraum des Geschehens sich über mehrere Wochen hinstrecken muss, erscheint es dem Leser, als wäre die Handlung auf nur wenige Tage verteilt, so atmosphärisch dicht ist dem Autor sein drittes Werk gelungen. Ein Brief ohne Unterschrift am Anfang und einige im Laufe der Story auftauchende Bilder, die an Kinderzeichnungen erinnern mögen, machen Dunkler Wahn neben den anschaulich dargestellten, mitunter leicht paranoid wirkenden Gedanken Jans zu etwas Be-Greifbarem, da auch das innere Auge jede Menge zu verarbeitenden Stoff geboten bekommt.
Mehrere Handlungsstränge schaffen zudem einen angenehmen Ausgleich zueinander, wobei niemals die Spannung verloren geht – gegenteilig heizen sich die verschiedenen Perspektiven nur noch gegenseitig an und der Leser kann gar nicht anders, als Seite um Seite um Seite umzublättern und weiter mitzufiebern. Das Zusammenfinden der Erzählperspektiven bilden über die vier großen Überkapitel eine gelungene Einheit, die am Ende kaum eine Frage offen lässt. Unterstützt wird die ausgereifte Story durch authentische und sympathische Charaktere, die den Leser wie auch Jan auf falsche Fährten locken, was der Autor hier sehr viel geschickter hinbekommen hat als im Vorgängerroman. Die langsame und Nerven zerreißende, in sich jedoch sehr schlüssige Aufklärung sämtlicher Handlungsstränge, die an einem Punkt enden, verstärkt die Begeisterung und der Roman nimmt zum Ende hin noch einmal richtig Fahrt auf, sodass es unheimlich schwer fällt, das Buch aus den Händen zu legen.
Man darf gespannt sein, was Wulf Dorn sich noch einfallen lassen und ob der Leser sich schon bald über ein Wiedersehen mit Jan Forstner und der Waldklinik freuen dürfen wird. Der nächste angekündigte Roman Mein dunkles Herz, der im Februar 2012 erscheinen soll, wird ein Ausflug in das Genre des Jugendthrillers sein und mit Sicherheit zahlreiche bisher überzeugte Kritiker auf den Plan rufen. Es bleibt abzuwarten, ob Dorn sich auch in die jugendlichen Herzen schreiben und dort jede Menge Spannung einpflanzen kann.
Die menschliche Seele lebt im Verborgenen, und wenn sie zerbricht, geschieht das lautlos. Es gibt kein Krachen und Klirren wie bei Porzellan oder Glas. Erst wenn es bereits zu spät ist, sieht man die Scherben.
(Seite 322)
Fazit:
Welche Auswirkungen Liebeswahn haben kann und dass es kein Patentrezept dagegen gibt, beweist Wulf Dorns dritter Psychothriller Dunkler Wahn auf ganzer Linie. Eine klare Entwicklung in Sachen Verdichtung und erneut überzeugendes Hintergrundwissen aus der Psychologie machen auch dieses – bisher Dorns bestes – Buch zu einem Lesegenuss und neugierig auf weitere Romane des Ulmer Autoren.
Wertung:
Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4,5/5
Dorn, Wulf: Kalte Stille
Dorn, Wulf: Mein böses Herz
Dorn, Wulf: Trigger
Zurück zu:
Stadt aus Trug und Schatten (Mechthild Gläser) Weiter mit:
Meridian – Flüsternde Seelen (Amber Kizer)