Ein Tag ohne Zufall (Mary E. Pearson)


Fischer Schatzinsel, 1. Auflage Februar 2011
Originaltitel: The Miles Between
Aus dem Amerikanischen
von Gerald Jung und Katharina Orgaß
HC mit SU, 320 Seiten
€ (D) 14,95 | € (A) 15,40 | SFR 23,50
ISBN 978-3-596-85407-3

Genre: Jugend-Belletristik


Klappentext:

Im Augenblick ist alles möglich

»Ich möchte nur, dass einen Tag lang ausnahmsweise das Gute siegt. Dass es ein Mal gerecht zugeht. Dass einen Tag lang alles ist, wie es sein soll. Einen einzigen Tag lang. Ist das denn zu viel verlangt? Ich gehe zur Schule zurück – und halte verblüfft an. Da steht ein Auto mit laufendem Motor. Nur eine kleine Runde drehen …?«

Innerer Klappentext:

Destiny wird von ihren Eltern von einem Internat ins nächste verfrachtet, seit sie sieben ist. Sie lässt niemanden an sich heran, denn Freundschaften schließen hat keinen Zweck, wenn man ohnehin bald wieder gehen muss. Doch dann ist da plötzlich dieser perfekte Tag, an dem sich die Zufälle überschlagen – oder sollte es Schicksal sein? Jedenfalls steht da auf einmal zufällig diese blassrosa Luxuslimousine mit hochgeklapptem Lederverdeck und laufendem Motor, und zufällig finden sich drei Mitschüler, die aus den unterschiedlichsten Gründen nichts gegen eine Spritztour haben … So beginnt ein spontaner Roadtrip voller sonderbarer Begegnungen, an dessen Ende Destiny ihren Schutzschild fallen lassen kann. Und plötzlich weiß sie, dass die Wahrheit ganz anders aussieht, als sie immer dachte.

Ein grandioser Roman um Täuschung, Selbsttäuschung und lang gehütete Geheimnisse, um Zufall und Schicksal.


Rezension:

Zufall. Der Zufall zieht sich durch unser Leben wie ein roter Faden. Manchmal verheddert und verknotet sich der Faden oder reißt sogar durch. Die losen Enden hängen herunter, aber das Hin und Her, das Vor und Zurück hört nicht auf, das Weberschiffchen saust immer weiter. Es hält nicht an, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht.
Die Wechselfälle des Lebens treffen zusammen, unversehens wird alles auf den Kopf gestellt. Und man passt sich an, Weil einem nichts anderes übrigbleibt. Aber was tun, wenn der Zufall abermals eingreift und das Gewebe wieder aufribbelt, das man sich geschaffen hat, um zu überleben?
(Seite 270)

Als Destiny sieben Jahre alt ist, müssen ihre Eltern an ihrem Geburtstag wegfliegen, um mit dem kleinen, kranken Bruder zu einem Arzt gehen zu können. Destiny ist eingeschnappt und weigert sich strikt, sich von ihrer Familie zu verabschieden – sie gibt ihrem kleinen Bruder die ganze Schuld daran, dass sie von diesem Zeitpunkt an auf immer wieder neue Internate geschickt wird. Denn Des hält es nie lange an einem Ort aus – sie ist in sich gekehrt und verschlossen, lässt niemanden an sich heran und vermeidet sämtliche tiefergehenden zwischenmenschlichen Beziehungen. Sobald sie merkt, dass sie sich jemandem zu nahe fühlen könnte, stellt sie irgendwas an, wird der jeweiligen Schule verwiesen und in ein neues Internat verfrachtet. Ihr kleiner Bruder hingegen darf die ganze Zeit bei ihren gemeinsamen Eltern bleiben.

Zehn Jahre später trifft Destiny beim Schwänzen der ersten Stunden auf dem Schulgelände einen Aushilfslehrer, der sie fragt, ob er irgendwas für sie tun kann. Da Des eh schon mies gelaunt ist, weil es eben der 19. Oktober ist und an diesem Tag einfach alles blöd werden muss, wie auch ihre Tante ihren Besuch bereits abgesagt hat, flippt sie kurzerhand ziemlich aus und wünscht sich einen Tag, an dem einfach einmal alles so ist, wie es sein muss. Einen Tag, an dem es gerecht zugeht. Herausfordernd dreinblickend stellt sie schließlich fest, dass der Lehrer gar nicht mehr da ist, und auf dem Weg zurück zum Schulgebäude stößt sie auf ein Auto, das mit laufendem Motor mitten im Park steht. Ohne lange nachzudenken macht sie sich auf die Suche nach einem Fahrer – und der Zufall spielt ihr in die Hände, als sie sich schließlich mit drei Mitschülern auf einen schicksalhaften Roadtrip begibt. Denn man sollte immer vorsichtig mit dem sein, was man sich wünscht – es könnte in Erfüllung gehen.

Wer wünscht sich nicht manchmal, das Schicksal nach den eigenen Vorstellungen beeinflussen zu können? Mehr bewirken zu können? Für wen wäre ein Tag, an dem alles genau so ist, wie es sein soll und sein muss, nicht die Erfüllung? Mary E. Pearson greift genau dieses Thema in ihrem Jugendroman geschickt auf und packt es von einer Seite an, die viele Sichtweisen und Einblickswinkel ermöglicht. Dabei geht es jedoch nicht ausschließlich um die Wünsche, die die Protagonistin so hat, sondern auch um die Wahrscheinlichkeit von Zufällen. Anhand von realen und fingierten Beispielen führt die Autorin an, wie viel Zufall im Leben tatsächlich möglich ist oder möglich sein könnte, wenn man konkret darauf achten würde.
Was hierbei besonders auffällt, ist die überaus bildreiche und klare Sprache. Nicht nur Destiny erscheint dem Leser sehr erwachsen in ihren Gedankengängen, auch die anderen Charaktere erhalten durch die Sprachkunst der Autorin einen Tiefgang, den man gerade in der Jugendliteratur nur selten findet. Auch das macht Ein Tag ohne Zufall zu einer Besonderheit, die aus dem aktuellen Einheitsbrei hervorzustechen versteht. Kunstvoll und beinahe magisch flicht Mary E. Pearson mehrere Fäden zusammen, die erst mit fortgeschrittener Seitenzahl zu einer Geschichte werden und den wahren Inhalt des Buches wie auch seine Botschaft offenbaren.

Wie einige andere Titel aus dem aktuellen Programm der Fischer-Verlage lädt auch Ein Tag ohne Zufall auf eine sanfte Weise dazu ein, mehr über das Geschehen in der Welt – auch in der ganz eigenen – nachzudenken und die Augen dem gegenüber zu öffnen. Ohne mit dem Holzhammer zu arbeiten, weckt die Autorin im Leser den Wunsch, sich intensiver mit sich und anderen auseinandersetzen zu können. Gedankenketten und Erinnerungssequenzen bleiben nach dem Lesen zurück – und doch hat man als Leser das Gefühl, losgelöst nach vorn schauen zu können.


Fazit:

Ein Roman, der nicht nur Jugendliche zum Nachdenken anregt, sondern auch erwachsene Leser durch die tiefgehende, fast poetische Sprache von Mary E. Pearson zu bewegen weiß. Noch lange nachhallend lässt Ein Tag ohne Zufall den Leser auch nach Weglegen des Buches über Zufall und Schicksal nachgrübeln – und wie viel Einfluss man wirklich auf sein Leben hat.


Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5


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