Ein Tag, zwei Leben (Jessica Shirvington)
Klappentext:
Zwei Leben, eine schicksalhafte Liebe – dramatisch, intensiv, atemberaubend
Die 18-jährige Sabine lebt in zwei Parallelwelten – 24 Stunden in der einen und 24 Stunden in der anderen. Es sind zwei Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten: In Roxbury ist sie die Außenseiterin, das Punk-Girl. In Wellesley dagegen die Highschool-Königin mit dem scheinbar perfekten Freund. Ein fataler Irrtum, den Sabine fast mit dem Leben bezahlt. Als sie in Roxbury Ethan kennenlernt und sich in ihn verliebt, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Doch ein tragisches Ereignis ändert auf einmal alles …
Rezension:
Ich bin eine Lügnerin. Das ist bei mir nicht zwanghaft. Sondern notwendig. Ich bin zwei Personen. Keine davon ist besser als die andere, keine Superkräfte, kein geheimnisvolles Schicksal, kein Zwei-Orte-zur-gleichen-Zeit-Mechanismus – aber zwei Personen. Grundverschieden, auch wenn ich eigentlich immer gleich aussehe. Meine körperlichen Merkmale, mein Gedächtnis und mein Name folgen mir. Alles andere – einfach alles – ist seit achtzehn Jahren verschieden.
(Seite 9)
Für Sabine ist das Leben echt nicht einfach – jeden Tag erlebt sie zwei Mal, immer abwechselnd in zwei verschiedenen Orten und als zwei verschiedene Personen. Während sie in Wellesley das totale It-Girl ist, viele Freundinnen und einen liebevollen Freund hat, bleibt sie in Roxbury eher unfreiwillig die meiste Zeit für sich. Im einen Leben hat sie zwei ätzende ältere Brüder und geschiedene Eltern, im anderen leben ihre Eltern noch zusammen und sie verbringt viel Zeit mit ihrer jüngeren, zauberhaften Schwester. Immer um Punkt Mitternacht wechselt sie die Seiten, was immer unangenehm ist, wenn sie nicht gerade in beiden Leben schläft. In beiden Leben steht sie kurz vor dem Schulabschluss und beschließt schließlich, sich in dieser Lebensphase von einem ihrer Leben zu trennen, als sie merkt, dass sich ein paar Dinge verändert haben. Sie probiert verschiedene Dinge aus, um ihre Theorie zu überprüfen, und nachdem diese Tests beweisen, dass sie richtig liegt, steht sie vor der schweren Entscheidung, welches von beiden Leben zu beenden möchte. Sabine trifft verschiedene Maßnahmen und stößt dabei auf diverse Hindernisse, die sie natürlich in nicht sehr angenehme Situationen bringen. In einer solchen Situation lernt sie schließlich Ethan kennen und mit einem Mal kommen ihr Zweifel, ob sie wirklich das Richtige tut. Doch für Sabine steht fest, dass sie auf keinen Fall so weiterleben will – sie will sterben, um endlich ein Leben zu haben – doch wie hat ein kluger Mann einmal gesagtß Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne machst. Und so verrinnt die Zeit immer schneller, und als Sabine sich ihrer Entscheidung endlich sicher zu sein scheint, erlebt sie in beiden Leben jeweils eine Überraschung, die alle Gedanken und Pläne wieder über den Haufen und sie selbst um einige Überlegungen zurückwerfen …
Nach ihrer erfolgreichen Dark-Fantasy-Reihe um Violet Eden legt Jessica Shirvington mit Ein Tag, zwei Leben nun einen Einzelroman vor, der sich in einem ganz anderen Genre bewegt. Entgegen der ersten Eindrücke anhand von Titel und Klappentext erwartet den Leser hier jedoch kein Zeitreiseroman, sondern eine wunderbar gestaltete Geschichte über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens – Schwierigkeiten, die die Protagonistin hier gleich zweimal auf ganz unterschiedliche Weise durchmachen muss. Die Autorin nutzt die zwei Leben von Sabine, um auf den Zwiespalt hinzuweisen, den Jugendliche in ihrer Entwicklungsphase vom Kind zum Erwachsenen oft durchmachen, auch wenn sie nicht zwei Leben leben müssen. Es ist ein geschicktes Werkzeug, das hier literarisch angewandt wird und dem Leser auf eine sehr eindringliche Weise aufzeigt, dass das Leben niemals einfach und perfekt ist, dass alles seine Sonnen- und Schattenseiten hat. Der Roman ist in vielerlei Punkten um einiges reifer als die Vorgänger-Reihe, obwohl der Sprachstil immer noch sehr jugendlich gehalten und damit genau auf die Zielgruppe zugeschnitten ist. Trotzdem ist Ein Tag, zwei Leben kein reines Jugendbuch, sondern geht mit einem gewissen Anspruch an seine Leser heran, sodass auch Erwachsene durchaus ihre unterhaltsame Lesezeit bekommen. Es fällt durch die Ich-Perspektive recht leicht, sich in Sabine hineinversetzen und ihr Dilemma nachvollziehen zu können, nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten verlässt die Protagonistin recht schnell ihre abweisende und unnahbare Position und scheint sich zumindest dem Leser gegenüber zu öffnen. Und obwohl Sabine die Hauptperson in dieser Geschichte spielt, wird sehr schnell deutlich, dass auch die anderen Charaktere ihre wichtigen Rollen haben.
Eindringlich und anschaulich zeichnet Jessica Shirvington ein verständliches Bild von einer ungewöhnlichen Situation. Ihre Idee, die Protagonistin mit zwei komplett verschiedenen Leben auszustatten, ihr selbst dabei aber volles Bewusstsein über die Situation zu geben, ist innovativ und bringt nicht nur Sabine und die Autorin selbst, sondern auch den Leser immer wieder vor neue Herausforderungen. Natürlich gibt es auch einige Längen, die sich aber schnell überwinden lassen, da es immer einen Grund gibt, warum man unbedingt weiterlesen sollte. Deshalb ist Ein Tag, zwei Leben trotz dieser Längen ein Buch, das sich nahezu in einem Rutsch durchlesen lässt, aber noch eine ganze Weile beim Leser nachhallt. Eine große Rolle spielt dabei natürlich die Frage, „Was wäre, wenn?“ – und die zu beantworten, ist auch Jessica Shirvington nicht wirklich gelungen. Doch da das Ende verhältnismäßig offen gehalten ist, bleibt natürlich abzuwarten, ob Sabines Geschichte vielleicht noch weitergeführt wird und so nicht nur der Leser eine weitere Chance auf einen Blick auf zwei Leben zu erhalten.
„Ja. Veränderungen können einem Angst machen. Aber es hat keinen Sinn, sich an Dinge zu klammern, nur weil es Furcht einflößend ist, einen Sprung zu machen und weiterzuziehen. Wenn man das erstmal begriffen hat, schaut man selten zurück. Man muss nur erkennen, wann die Zeit reif dafür ist.“
(Seite 137)
Fazit:
Obwohl Titel und Klappentext es ein wenig suggerieren, handelt es sich bei Ein Tag, zwei Leben keineswegs um einen Zeitreiseroman. Vielmehr erwartet den Leser bei Jessica Shirvingtons Stand-Alone eine rasante und mitreißende Geschichte, die an manchen Stellen überspitzt, aber im Ganzen durchaus zu unterhalten weiß. Einige Startschwierigkeiten sind schnell überwunden und wenn man sich auf das gar nicht so sehr verwirrende Hin und Her einlassen kann, verbringt man einige angenehme Lesestunden mit Sabine (und Sabine) und ihren beiden Leben.
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