Eve & Caleb – Wo Licht war (Anna Carey)
Klappentext:
Wie überlebst du, wenn du vor allem fliehen musst, was du kennst?
Seit ihre Mutter während der Großen Seuche vor 16 Jahren gestorben ist, lebt Eve in einem Mädcheninternat. Hier wird sie zu einem wertvollen Mitglied der neuen Gesellschaft ausgebildet – glaubt sie zumindest. Als Eve erkennt, wie sehr sie und die anderen Mädchen ausgebeutet werden sollen, flieht sie. Doch auf ein Überleben in der Wildnis und auf die Flucht vor den Soldaten des Neuen Amerikas ist Eve nicht vorbereitet. Unerwartet hilft ihr Caleb, ein junger Rebell. Kann Eve ihm trauen? Sie weiß, die Soldaten werden die Suche nicht aufgeben, und Caleb ist ihre einzige Möglichkeit zu überleben. Sie muss ihr Leben in die Hände eines Fremden legen.
Rezension:
Sein Gesicht war so sanft, so ehrlich und lieb, dass ich – wenn auch nur für einen Augenblick – vergaß, dass wir so verschieden waren. Dass er dem anderen Geschlecht angehörte, vor dem man mich gewarnt und das ich mein Leben lang gefürchtet hatte.
(Seite 145)
Seit der großen Seuche ist alles anders – es herrscht wieder Geschlechtertrennung und die Mädchen werden in Internaten großgezogen, in denen ihnen vor allem beigebracht wird, dass Männer grausam und schlecht sind und dass hinter den Mauern das Böse lauert. In einem solchen Internat wächst Eve auf und steht kurz vor ihrem Abschluss – schon am nächsten Tag soll sie gemeinsam mit den anderen Absolventinnen ihres Jahrganges auf die andere Seite des Sees gebracht werden, um von dort aus nach kurzer Zeit in die Stadt gebracht zu werden, in der auch der König seinen Sitz hat. Zufällig bekommt Eve mit, dass sich eine ihrer Mitschülerinnen vom Gelände stehlen will, und erfährt auf diese Weise die Wahrheit über die weiteren Pläne für sich und die anderen Mädchen – und die hat ganz und gar nichts mit dem tollen Leben zu tun, auf das sie seit Jahren vorbereitet werden. In der Nacht überzeugt sich Eve selbst vom Wahrheitsgehalt dieser Geschichte und beschließt zu fliehen. Doch das ist leichter gedacht als getan, denn Eve kennt nur das Leben hinter den Internatsmauern und weiß nicht, was sie draußen wirklich erwartet. Trotzdem findet sie sich schließlich in der Wildnis wieder und trifft auf Caleb, der ihr nach einigem Hin und Her schließlich seine Hilfe anbietet. Doch Eve ist skeptisch: Kann sie ihm vertrauen und auf ihr Gefühl hören oder sollte sie sich nach dem richten, was ihr all die Jahre über Männer beigebracht wurde?
Wo Licht war ist der Auftakt einer neuen Jugend-Dystopie, die wie viele Genre-Kolleginnen vor allem auf der eingeflochtenen Liebesgeschichte aufbaut. Anna Carey setzt hier vor allem auf die gesellschaftliche Entwicklung zurück zu einer Monarchie, in der der König über allem steht und sich alle anderen seinem Willen zu beugen haben. Auch wenn der König selbst in der Geschichte nicht auftritt, merkt der Leser doch immer wieder unterschwellig, dass alles nach seiner Pfeife tanzt. Auch dass Frauen in dieser neuen Gesellschaft nicht viel zu sagen haben, schwingt immer wieder zwischen den Zeilen mit, auch wenn Eve und ihre Mitschülerinnen im Internat etwas anderes beigebracht bekommen haben. Wie bei den meisten Dystopien spielt auch in Wo Licht war vieles mit der „Was wäre, wenn“-Frage, die vor allem im Kopf des Lesers wahre Purzelbäume schlägt. Denn das hier dargestellte Szenario einer möglichen Zukunft ist ziemlich erschreckend, weil sich vieles wieder an einem Stand der Gesellschaft bewegt, von der die Weg-Entwicklung viele Jahrzehnte gedauert hat. Und obwohl nichts so richtig konkret beschrieben wird, ist doch auch klar, dass sich die Autorin – wenn auch vielleicht nur unbewusst – kritisch gegenüber dem Klassendenken äußert.
In der Charaktergestaltung folgt Anna Carey dem klassischen Aufbau einer Dystopie: Es gibt ein junges Mädchen, das aus dem vorgeschriebenen Muster ausbricht, und einen Jungen von der gegnerischen Seite, die sich hier im Grunde nur im anderen Geschlecht darstellt. Aber auch er ist nicht mit dem aktuellen „Gleichgewicht“ der Gesellschaft einverstanden, denn Männer werden in dieser Welt grundsätzlich als Soldaten großgezogen und müssen sich in der Wildnis durchschlagen. Caleb bleibt zu großen Teilen geheimnisvoll und ist wahrscheinlich genau deshalb auch für die Leserinnen der perfekte männliche Protagonist, während man sich mit Eve nur teilweise identifizieren kann. Sie bringt ein wenig Unruhe in die Männergruppe, zu der Caleb sie mitnimmt, schafft aber durch ihr Handeln und ihre Gedanken auch eine gewisse Vertrauensbasis, für die man definitiv den Hut ziehen muss. Obwohl es also ein klassisches Dystopien-Paar gibt, bewegt sich Wo Licht war doch ein wenig abseits der definierten Grenzen.
Genauso wie das Auf und Ab der Charaktere gestaltet sich auch die Geschichte an sich, die mit einigen Längen, aber auch turbulenten Szenen auffahren kann. Es ist eine gute Mischung aus Spannungsbögen und Möglichkeiten für den Leser, sich zwischendurch für einen Moment zu entspannen, ohne dass etwas vom Inhalt der Geschichte verloren geht.
Als Gesamtpaket kann man den Auftakt zur Eve & Caleb-Trilogie sicher nicht als herausragend betrachten, aber durchaus eine solide und kurzweilige Unterhaltung nennen. Es bleibt zwar nicht unbedingt viel hängen, das Weiterlesen möchte man jedoch nicht verpassen, denn Anna Carey hat definitiv eine Menge Potential und kann mit dem vorläufigen Ende genug Neugier wecken, um auch der Fortsetzung gerne eine Chance zu geben.
Fazit:
Wo Licht war ist der kurzweilige Auftaktband zur Trilogie um Eve & Caleb, der alle klassischen Merkmale einer Jugend-Dystopie mit sich bringt. Anna Carey hat ein gesundes Gleichgewicht aus ruhigen und rasanten Momenten geschaffen, sodass der Leser weder über- noch unterfordert ist, sondern sich entspannt in die Geschichte fallen lassen und auch auf turbulente Szenen freuen kann. Ein Auftakt, der Lust auf die Fortsetzung macht und weiterhin gute Unterhaltung verspricht.
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