Herzmassaker (Ina Brinkmann)
Klappentext:
Gelangweilt warf ich das sterbende Ding in die Büsche, lehnte mich zurück und wartete – auf den Regen, der nicht kam.
Patrick Fechner bekommt Hausverbot im städtischen Schwimmbad und will dafür Rache nehmen. Ob Rasierklingen in Wasserrutschbahnen versteckt wirklich das ultimative Blutbad anrichten würden?
Aber die Welt ist für die Lebenden gedacht. Tote tun nichts. Das ist ein Problem. Denn wer sich nicht bewegt, über den gibt es nichts zu sagen. «Hast du das von dem toten Herrn Dingens gehört?», ist nicht sehr lange interessant.
Patrick ist der Schrecken der Kleinstadt, schafft es aber immer wieder, die Leute um den Finger zu wickeln; er ist clever, gerissen und scheut auch vor großen Aufgaben nicht zurück. Zum Beispiel wenn es darum geht, es dem Mädchen heimzuzahlen, das eigentlich ihm gehört …
In mir ist alles ruhig. Das Wunderland schweigt.
Ich freue mich auf das Fegefeuer.
Rezension:
Im Klappentext genanntes Hausverbot und die damit verbundene Racheaktion sind nur ein kleiner Bruchteil dessen, was den Leser in Herzmassaker erwartet. Wie eine Art Tagebuch erzählt Patrick von seinem täglichen Leben inklusive Schule, Gewalt, Sex, Drogen und seinem besten Freund Simon, der seit jeher Nachbar und ebenfalls nicht ganz auf der richtigen Spur war. Obwohl der Protagonist männlich ist und wirklich unschöne Dinge mit den weiblichen Charakteren veranstaltet, kommt man nicht umhin, der Autorin einen gewissen Respekt dafür zu zollen, sich derart in den Kopf eines regelrechten Psychopathen zu versetzen, der nur eines will: Sich selbst um jeden Preis zufrieden stellen, ohne überhaupt zu wissen, was ihn eigentlich wirklich zufrieden stellt. Fast schon ein wenig hilflos wirkt Patrick in so mancher Szene, doch nicht nur er als Hauptdarsteller in diesem surreal wirkenden, aber hinter der Schöne-Welt-Kulisse unserer Gesellschaft wahrscheinlich häufiger zu findenden Schauspiel wirft dem Leser Bilder und Fragen an den Kopf. Sei es das Mädchen, das sich gegen Patrick entscheidet, oder deren Cousine, die als Mauerblümchen bisher nie bemerkt wurde, oder der eigene Vater, der nach außen den Saubermann schlechthin abliefert und in den Tiefen des schallisolierten Kellers sein wahres Ich zeigt – sie alle sind Menschen mit tiefen Abgründen, die von Ina Brinkmann auf Papier gebannt und so ans Licht gezerrt wurden. Authenzität und Gänsehautfeeling sind ein Garant, der in Herzmassaker nicht nur positive Seiten zeigt.
Mit einer für das Anti-Pop-Genre typischen Kodderschnauze fügt sich die Autorin klassisch ins Programm des UBooks-Verlages. Neben bereits namhaften Schriftstellern muss sie sich mit diesem Debüt definitiv nicht verstecken, sondern macht schon jetzt Lust auf weitere Bücher. Wohin der Weg führt, ist dabei völlig unwichtig – mit einem Bein bereits im Geschäft kann Ina Brinkmann nicht mehr wirklich viel falsch machen. Die Geschichte um Patrick und sein qualvolles, verkümmertes Sozialleben inklusive zahlreicher, nicht immer kranker Gedankenkaruselle, von denen selbst dem Leser schwindelig werden kann, beweist einmal mehr, dass politisch unkorrekter Lesestoff nicht immer negativ sein muss, sondern manchmal einfach wichtig zum Augenöffnen ist. Gesellschaftskritik in ungeschönter Form und mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein, ohne überheblich zu wirken – mit Herzmassaker bekommt dieses Genre fast eine neue Bedeutung. Überraschende Wendungen kann man hier nicht erwarten, und diese bleiben bis zum großen Finale, das es echt in sich hat, auch aus. Doch genau das macht das vorliegende Erstlingswerk zu einem Pageturner, der kaum mehr aus der Hand zu legen ist – viel zu neugierig auf den Hintergrund des verkrüppelten Daseins muss man immer weiter lesen, bis man schließlich Antworten findet. Oder eben nicht.
Ina Brinkmann nimmt kein Blatt vor den Mund und serviert dem Leser ein krankes Hirn, das in einem Heim mit schöner Fassade aufgewachsen, innerlich jedoch völlig verkümmert ist und seinen Hass auf ganz unterschiedliche Dinge und Menschen nahezu perfekt in die Außenwelt projezieren kann – für sanfte und zarte Gemüter ist dieses Buch sicher nicht geschrieben worden, doch wahre Anti-Pop-Fans werden mit diesem Schriftstück ihre helle Freude haben.
Fazit:
Ziemlich krank in den Gedankengängen und der Umsetzung unterhält Ina Brinkmann mit ihrem Debüt typische Anti-Pop-Fans. Kopfschütteln und Schmunzler inklusive verspricht Herzmassaker kurzweilige, aber auch schnell wieder vergessene Unterhaltung. Und das offene Ende eine mögliche Fortsetzung um den verqueren Protagonisten und seinen „besten“ Freund.
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