Ich gegen dich (Jenny Downham)
Über das Buch:
Als Mikey erfährt, dass Tom, Sohn reicher Eltern, seine fünfzehnjährige Schwester Karyn vergewaltigt haben soll, will er sich rächen. Da kommt ihm der Flirt mit Toms Schwester Ellie mehr als gelegen. Als Liebe daraus wird, muss er sich entscheiden, auf wessen Seite er steht: Hält er zu Karyn, dem Opfer, zu seiner Mutter, einer Alkoholikerin, und seiner kleinen Schwester Holly, oder gibt er der Liebe eine Chance?
Und auch Ellie stürzt die Beziehung zu Mikey in einen Gewissenskonflikt: Soll sie ihren Bruder weiter schützen oder auspacken? Und was wird dann aus ihrer Familie?
Ein spannender Roman über die Liebe, die Lust am Leben und die Entdeckung des eigenen Muts, den man nicht mehr aus der Hand legt, bis zur allerletzten Zeile.
Rezension:
Mikey McKenzie ist achtzehn, arbeitet (offiziell) als Reinigungskraft in einer Kneipe am Hafen und lebt mit seinen beiden Schwestern und seiner Mutter in einer Sozialsiedlung. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für ein erfülltes Leben, doch Mikey ist eine Kämpfernatur mit klaren Zukunftsvorstellungen und Zielen – er möchte ein großer Koch werden und irgendwann in London ein eigenes Restaurant eröffnen. Unterstützt wird er dabei vom Mann seiner aktuellen Chefin, der Mikey mitunter gegen den Willen seiner Frau oft kleine Küchenarbeiten erledigen lässt und ihm im Gegenzug verschiedene Geheimtipps im Kochen zeigt. Als seine Schwester Karyn von einem reichen Jungen vergewaltigt worden sein soll und in der Folge abstürzt, droht das ohnehin zerrüttete Familienleben völlig zu zerbrechen und Mikeys Zukunftstraum wird immer wichtiger. Trotzdem will er in erster Linie Rache für seine Schwester und verspricht ihr, sich diesen „Bastard“ eigenhändig vorzuknöpfen. Auf einer Party, die für Toms Freilassung auf Kaution von seinen Eltern veranstaltet wird, will Mikey sich einschleichen und Tom Parker schnappen. Dabei trifft er auf dessen jüngere Schwester Ellie, die keine Ahnung hat, wer er ist, und fasst einen neuen Plan.
Doch dann lernt er die Person hinter dem Namen „Parker“ immer besser kennen und stellt fest, dass es mehr im Leben gibt als Rache. Mikey verheimlicht ihr so lange wie möglich seine Identität und den ursprünglichen Hintergrund seines Interesses an ihr, und als Ellie schließlich alles herausfindet, wird ihr sofort klar, was es mit seinen Annäherungsversuchen wirklich auf sich hat. Ihn durchschauend fasst sie einen eigenen Plan, um ihrem Bruder zu unterstützen – doch sie hat ihren Plan ohne die immer wieder auftauchenden Bilder in ihrem Kopf gemacht, ohne das schlechte Gewissen Karyns gegenüber und vor allem ohne die Gefühle, die sie für Mikey entwickelt hat und die er ihr ebenso entgegen bringt. Für beide steht viel auf dem Spiel, doch beide wollen nicht kampflos ausgeben. Trotz all der Rückschläge und des vorsehbaren Geredes, wenn sie ihrer Liebe eine offizielle Chance geben. Ein langwieriges Hin und Her steht bevor, an dessen Ende die Frage steht: Was ist richtig und was ist falsch?
Lange ersehnt erschien Ende August endlich der zweite Roman von Jenny Downham in der deutschen Übersetzung. Und wieder hat sich die Autorin, die mit Bevor ich sterbe Millionen Leserherzen berühren und begeistern konnte, ein ernstes und nicht ganz einfaches Thema ausgesucht: Vergewaltigung unter Jugendlichen bzw. der Vorwurf dessen und die Auseinandersetzung mit der „Sache“ aus ganz verschiedener Sicht. In Downhams Geschichte lernt der Leser vor allem zwei eigentlich Unbeteiligte kennen, die durch ihre aufkeimenden, aber eigentlich nicht gern gesehenen Gefühle ein wenig an Romeo und Julia denken lassen – zwei „verfeindete“ Familien, deren Kinder sich voneinander angezogen fühlen und allen Außenstehenden zum Trotz alles versuchen, um ihrer Liebe eine Chance zu geben. Und doch ist Ich gegen dich alles andere als eine solch dramatische Liebesgeschichte, obwohl sowohl Dramatik als auch Liebe definitiv nicht zu kurz kommen. Der Vergleich ist zwar passend, hinkt jedoch an gewissen und vor allem wichtigen Stellen ganz gewaltig – denn hier geht es nicht um die Liebe an sich, sondern in erster Linie um die Hintergrundgeschichte und die Situation, die diese Liebe erst in gewisser Hinsicht „verbietet“.
Jenny Downham versteht es dabei wieder einmal hervorragend, dem Leser die verquere Situation nahe zu bringen, ohne dabei zu übertreiben. Sowohl Ellie als auch Mikey überzeugen in ihren mitunter widersinnigen Handlungen und Gedanken, besonders schön sind die verschiedenen inneren Konflikte dargestellt, die sie mit sich selbst ausmachen müssen. Sie zeigen auch deutlich, in welchen Zwiespalt eine junge Person geworfen werden kann, wenn sie mit solchen Dingen direkt konfrontiert wird und Entscheidungen treffen muss, die in jede denkbare Richtung irgendjemandem schaden werden. Die „Was ist richtig und was ist falsch“-Frage stellt sich hier nicht nur Ellie, sondern auch der Leser, für den recht schnell klar wird, warum Ellie sich in dieser prekären Situation befindet. Zwar versucht die Autorin lange, die Spannung über die Wahrheit zu halten, doch manche Dinge sind leider schneller zu glauben als andere. Nicht umsonst heißt es, dass ein Mann, dem eine Vergewaltigung vorgeworfen wird, für den Rest seines Lebens abgestempelt wird und mit diesem Vorwurf klar kommen muss – völlig egal, ob dieser stimmt oder nicht. Und dieser zweifelnde Gedanke bleibt dem Leser auch immer im Hinterkopf, so oft Tom seine Unschuld auch beteuern mag.
Doch nicht nur die Geschichte weiß zu überzeugen, auch bei den Charakteren hat sich Jenny Downham einmal mehr bewiesen. Passend zu den beiden familiären Hintergründen sind Ellie und Mikey geradezu die Gegenpole zum jeweiligen Rest der Familie. Besonders hervor tun sich dabei die Eltern der Parker-Geschwister, die anfangs noch ungebrochen hinter ihrem Sohn stehen, doch zumindest die Mutter irgendwann einzuknicken scheint und ihrer Tochter wenigstens zuhört. Hier wird deutlich, wie stark der familiäre Druck manchmal sein kann und auf wie wenig Verständnis man stößt, wenn man sich gegen das „optimale“ Bild einer Familie stellt. Und auch in Mikeys Familie läuft nicht alles rund, obwohl dieser sehr bemüht ist, den Behörden und zuständigen Polizeibeamten das Offensichtliche nicht allzu sehr zu präsentieren. Die Rollenverteilung ist hier nicht von Anfang an klar, wird jedoch im Laufe der Seiten wenigstens ein wenig entwirrt.
Die zarten Bande, die zwischen Ellie und Mikey entstehen, und der gesamte Verlauf der Geschichte machen Ich gegen dich zu einem kurzweiligen, mitunter erschreckenden Roman, der während des Lesens fesselt und nach dem Beenden der letzten Seite noch lange im Kopf nachwirkt. Ein Roman, der auch ohne mögliche Fortsetzung hervorragend funktioniert.
Fazit:
Mit ihrem zweiten Roman beweist Jenny Downham erneut, dass sie sich wundervoll in die Köpfe jugendlicher Protagonisten versetzen kann. Wenn auch nicht ganz so überzeugend wie der Vorgänger befasst sich auch Ich gegen dich mit einem ernsten Thema, das auf den ersten Blick vielleicht nicht akut und alltäglich, jedoch trotzdem wichtig ist. Eine Geschichte über Herausforderungen der besonderen Art.
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