Kyria & Reb: Bis ans Ende der Welt (Andrea Schacht)
Egmont INK, 1. Auflage Februar 2012
HC mit SU, 384 Seiten
Preis: € 17,99
ISBN: 978-3-86396-016-2
Leseprobe
Genre: Jugend-Dystopie
Über das Buch:
Im Jahr 2125 hat sich Europa in eine Welt der kompletten Überwachung verwandelt. In diesem perfekt gesteuerten System – New Europe – wächst Kyria behütet auf. Bis sie an ihrem 17. Geburtstag erfährt, dass sie an einer tödlichen Krankheit leidet. Jetzt zählt nur noch ein Gedanke: Flucht. In der wenigen Zeit, die ihr bleibt, will sie endlich frei sein! An einem Ort, der dem Zugriff des Systems entzogen ist. Mit ihr auf den Weg macht sich Reb, der vor nichts und niemandem Angst hat. Doch schon bald sind den beiden die Verfolger auf der Spur. Und das ist nicht die einzige Gefahr: Alle, die sich der Macht von New Europe entziehen, drohen furchtbaren Seuchen zum Opfer zu fallen …
Rezension:
»Leben ist zäh«, murmelte ich.
»Ja, aber trotz allem zerbrechlich. Du hast, seit du deine behütete Welt verlassen hast, viel dazugelernt, und wie mir scheint, bewältigst du dein Leben recht gut. Wirst du einen Rat von mir annehmen, Kyria?«
»Ja, Alvar.«
»Die Angst, die man verliert, hinterlässt eine Leere. Versuche sie nicht mit neuer Angst, mit Wut oder Hass auszufüllen.«
»Das hört sich irgendwie seltsam an.«
»Merke es dir einfach, Kyria.«
(Seite 221)
Das fortschrittliche Europa im Jahr 2125 ist eine von Frauen dominierte Welt, in der Männer nur wenig zu sagen haben und im Grunde nur der Unterhaltung und der Fortpflanzung dienen. Das sind zumindest die Welt, in der Kyria aufgewachsen ist, und das Bild, das ihr in den vergangenen siebzehn Lebensjahren von der Welt vorgezeichnet wurde. Als Gendefekte, vererbt von ihrem Vater, wird sie von ihrer Mutter sehr behutsam behandelt und vor allen möglichen Gefahren geschützt, was nach sich zieht, dass Kyria nur sehr einseitige Informationen über das Weltgeschehen erhält. Als sie bei den Festlichkeiten anlässlich ihres siebzehnten Geburtstages versehentlich ein Hornissennest aufscheucht und einen der bisher schlimmsten Anfälle ihres Lebens hat, wird sie ins Heilungshaus gebracht, wo sie den jungen Rebellen Reb kennen lernt. Da Menschen seines Standes normalerweise nicht versorgt werden, setzt sie sich für ihn ein und veranlasst, dass die Schwestern sich um ihn kümmern.
Bei einem Rundgang auf dem Klinikgelände bekommt Kyria eher ungewollt ein Gespräch mit und erfährt so, dass ihr Gendefekt, der sie bisher zwar einschränkte, aber nicht umbrachte, die schlimmste Stufe erreicht hat und sie voraussichtlich nur noch wenige Wochen zu leben hat. Verschiedene Punkte, die im Vorfeld geschehen sind, wecken in ihr nur einen Wunsch: Die letzten Wochen ihres Lebens in Freiheit und bei ihrer Freundin Hazel zu verbringen. Gemeinsam mit Reb verlässt Kyria nach einem Tumult, der durch eine Systemstörung verursacht wurde und jede Menge Chaos hinterlassen hat, ihre heile Welt und begibt sich auf eine Reise, bei der sie nicht nur feststellen muss, dass all das, was ihr beigebracht und vermittelt wurde, nur die halbe Wahrheit ist, sondern auch viel über sich selbst und ihre Eltern erfährt. Doch nicht nur für Kyria wird die Reise ein Abenteuer, auch der unerschütterlich wirkende Reb stößt auf Geheimnisse, die sein Denken und sein Leben von Grund auf verändern werden.
Eine Dystopie aus deutscher Feder, die noch dazu wenigstens zu einem Teil auch in Deutschland spielt: Mit Sicherheit ist allein dies für viele LeserInnen ein Grund, zum Auftaktband der Kyria & Reb-Reihe von Andrea Schacht zu greifen und in die Welt von NuYu einzutauchen. Und tatsächlich lässt das Wissen um den „heimischen“ Schauplatz ein ganz anderes Lesegefühl entstehen als die ausländischen Genre-Kollegen, wodurch Bis ans Ende der Welt einen besonderen Stellenwert bekommt. Doch schafft es die Autorin mit dieser Grundlage, ihre Dystopie von der immer stärker wachsenden Masse abzuheben? Diese Frage lässt sich leider nicht eindeutig beantworten, denn in einigen guten Ansätzen finden sich auch immer wieder Stolperfallen, die das Lesen ermüdend werden lassen und beim Leser den Eindruck erwecken, dass Andrea Schacht nicht so richtig weiß, was sie mit Kyria & Reb eigentlich anfangen möchte. Angefangen bei den verschiedenen Klassifizierungen, die – zumindest im Leseexemplar – ohne Glossar zu Beginn des Buches für sehr viel Verwirrung sorgen, über recht klischeehafte Protagonisten bis hin zu einer vor sich hin plätschernden Geschichte, die nahezu ihre komplette Aufregung gebündelt im auf die letzten knapp fünfzig Seiten verteilten Finale findet.
Zu den Charakteren lässt sich sagen, dass die Protagonistin als naives und wohlbehütetes Mädchen aufwächst. Die Außenwelt kennt sie auf Grund ihrer vererbten Krankheit nur vom Bildschirm und dort wird sie von der Regierung natürlich sehr geschönt. Es gibt nur Schwarz und Weiß in Kyrias Welt und das macht sich vor allem in ihrer Entwicklung von einer ahnungslosen Zicke zu einer immerhin nachfragenden Frau mit eigenem Kopf immer wieder bemerkbar – leider nicht nur auf positive oder erheiternde Weise. Der Gegenpart Reb wird ebenfalls recht stereotypisch dargestellt, er ist rabiat und rücksichtslos, erscheint undankbar und unsensibel. Auch er erfährt im Laufe der Geschichte eine Entwicklung, die nicht nur ihn selbst, sondern auch den Leser und vor allem seine Begleitung erstaunen dürfte. Doch obwohl man von Anfang an weiß oder sich zumindest ziemlich sicher ist, wo die ganze Sache zwischen den beiden – schließlich ist die Reihe nach ihnen benannt – hinführen wird, zögert die Autorin die Entwicklung zueinander gefühlte Ewigkeiten hinaus. Um dann mit einem Donnerschlag und völlig überhastet alles auf einmal passieren zu lassen, was die Geschichte an actionlastigen und aufregenden Szenen hergeben kann. Das ist extrem schade, weil sich dadurch die ersten dreihundert Seiten fast endlos hinziehen und man mit jeder umgeblätterten Seite denkt, dass endlich mal was passieren könnte. Einige durch amüsante, wenn auch nicht unbedingt witzige Sprüche aufgelockerte Szenen lassen dann doch weiter durchhalten, bis am Ende dann nahezu alles über den Protagonisten und dem Leser zusammenbricht.
Ob es am Leseexemplar lag, dass auch der extrem süddeutsche Sprachstil und die Fehlerquote mit zahlreichen Groß- und Kleinschreibfehlern ein eher negatives Licht auf diesen Startband wirft, bleibt für die Rezensentin offen. Auch die äußere Aufmachung kann auf Grund dessen nur in groben Zügen besprochen und bewertet werden, denn als stabiles Hardcover verkauft macht Kyria & Reb sicherlich etwas mehr her als die Leseexemplar-Taschenbuchausgabe. Rein optisch spielt der neue INK-Verlag der Egmont-Gruppe wunderbar mit zarten Pastellfarben, die sich allerdings auch wieder nur bedingt auf den Inhalt beziehen lässt. Alles in allem verspricht der Titel viel, kann aber nur einen Bruchteil dessen halten. Es gilt nun also abzuwarten, wie sich die Folgebände machen werden, und die Daumen zu drücken, dass es ihnen besser gelingen wird, den Leser auf ihre Seite(n) zu ziehen.
Fazit:
Mit Bis ans Ende der Welt wird der Leser von Andrea Schacht in ein dystopisches Europa geführt, das nicht nur aus deutscher Feder stammt, sondern zum Teil auch in einer (möglichen) zukünftigen Version Deutschlands spielt. Doch abgesehen von dieser Besonderheit bewegt sich der Auftaktband um Kyria und Reb leider nur im Mittelfeld der dystopischen Jugendliteratur – mangelnde Handlung, fehlende Spannungsbögen, ein sehr gewöhnungsbedürftiger Sprachstil und nur selten ansprechende Protagonisten lassen den (erwachsenen) Leser trotz überzeugender und ausbaufähiger Grundidee eher enttäuscht als begeistert zurück.
Wertung:
Handlung: 2,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 3/5
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