LÚM – Zwei wie Licht und Dunkel (Eva Siegmund)
Klappentext:
Wenn dein Schicksal zu groß für dich scheint
In der Trümmerstadt Adeva entscheidet sich für alle 15-Jährigen in der Nacht der Mantai, welche Gabe sie haben. Ein Mal, das auf dem Handgelenk erscheint, zeigt an, ob man telepathisch kommunizieren, unsichtbar werden oder in die Zukunft sehen kann. Doch bei Meleike, deren Großmutter eine große Seherin war, zeigt sich nach der Mantai – nichts. Erst ein schreckliches Unglück bringt ihre Gabe hervor, die anders und größer ist als alles bisher. Als Meleikes Visionen ihr von einem Inferno in ihrem geliebten Adeva künden, weiß sie: Nur sie kann die Stadt retten. Und dass da jenseits der Wälder, in der technisch-kalten Welt von Lúm, jemand ist, dessen Schicksal mit ihrem untrennbar verknüpft ist …
Rezension:
Die Zukunft war nicht starr wie Beton, sondern so beweglich wie Wasser. Sie blieb nur so lange konstant, wie der derzeitige Strang der Wirklichkeit konstant blieb, in dem sich der Mensch gerade befand. Änderten sich einige wenige, aber entscheidende Faktoren im Hier und Jetzt, änderte sich auch die Zukunft. Manche Teile der Zukunft waren beinahe starr, vor allem dann, wenn viele Menschen einen gemeinsamen Beschluss gefasst hatten, da es nicht so einfach war, eine gemeinsame Entscheidung rückgängig zu machen. Andere Bausteine der Zukunft jedoch waren glitschig und wendig wie Fische. Diejenigen Teile, die mit individuellen Entscheidungen einzelner Menschen zu tun hatten, waren am schwersten vorauszusehen.
(Seite 209)
Der dritte Weltkrieg trieb die Menschen in die unverseuchten Gebiete Amerikas, außerdem wurde der sogenannte Völkerauflösungsvertrag beschlossen, der besagt, dass es keinen allmächtigen Regenten mehr geben soll und alle Menschen gleichberechtigt sind. Dieser Plan scheint aufzugehen, denn auch wenn die Bewohner von Adeva nicht viel besitzen, so sind sie doch zufrieden und haben ein erfülltes Leben. Die fünfzehnjährige Meleike ist wegen der bevorstehenden Mantai ziemlich aufgeregt, denn in dieser Nacht wird sie ihr Zeichen und ihre Gabe erhalten – ein Ritual, bei dem große Hoffnungen, aber auch ein großer Druck auf sie gerichtet werden, denn Meleikes Familie gehört zu den wichtigsten in Adeva. Doch die Nacht geht nicht so aus, wie alle erwartet hatten – Meleike scheint nicht mit einer besonderen Gabe ausgestattet, sondern ein ganz normales Mädchen zu sein. Eine Schande in ihren Augen, schließlich hat ihre Familie bisher die größten Seherinnen der Geschichte hervorgebracht. Meleike hat allerdings nicht lange Zeit, um sich in ihrer Schmach zu suhlen, denn schon bald geschieht eine furchtbare Tragödie und vor ihr liegt eine wichtige Aufgabe: Die Bewohner Adevas sind in Gefahr und sie scheint die einzige zu sein, die ihnen helfen und das Schicksal abwenden kann. Dafür muss sie ihre Angst vergessen und den dunklen Wald durchqueren, der schon vielen Familien tragische Verluste gebracht hat – und was sie auf der anderen Seite erwartet, lässt sie alles in Frage stellen, woran sie bisher geglaubt hat. Denn Adeva ist nicht die einzige Stadt, die an den Wald grenzt. Es gibt auch noch Lúm, die das genaue Gegenteil von Meleikes Heimat darstellt. Aber auch dort lauern die Gefahren …
Eine neue deutsche Dystopie – gemessen an den zahlreichen Neuerscheinungen aus anderen Ländern hat LÚM – Zwei wie Licht und Dunkel wirklich kein leichtes Los gezogen. Doch Eva Siegmund scheint ihr Handwerk gut genug zu verstehen, um sich von der Masse ab- und gegenüber den ausländischen Konkurrenten durchzusetzen. Mit ihrem Debüt, das erfrischenderweise als Stand-Alone veröffentlicht wurde, auch wenn natürlich eine Option für diverse Fortsetzungen gegeben ist, schafft sie fernab vom klassischen Dystopie-Einheitsbrei eine neue Welt, in der Setting, Charaktere, Stil und Idee eine wunderbar runde Sache ergeben und dem Leser wirklich unterhaltsame und kurzweilige Stunden bereiten. Eine Welt mit zwei Seiten, das ist dabei möglichweise nicht ganz so originell, doch die Umsetzung dieser alten Geschichte ist der Autorin wirklich gut gelungen. Obwohl der Einstieg ein bisschen schwierig ist, findet sich der Leser schnell im Geschehen wieder und wird schließlich mit jeder Seite noch weiter hineingezogen. Dabei erwarten den Leser einige überraschende Wendungen, aber leider auch ein paar Längen, die dann jedoch zum Innehalten und Durchatmen einladen, bevor es nur ein paar Seiten später schon wieder eng für den Adrenalinhaushalt wird. Diese gelungene Mischung von Auf und Ab macht LÚM – Zwei wie Licht und Dunkel zu einem Pageturner, der nur schwer aus der Hand zu legen ist – auch wenn die Autorin es manchmal ein wenig mit den Ausrufezeichen in der wörtlichen Sprache übertreibt.
Die Charaktere hingegen hat Eva Siegmund sehr vielschichtig gestaltet, sodass für jeden Leser etwas dabei ist. Es gibt Helden, Bösewichte, Nebenrollen und auch diesen kleinen Liebling, der nur in einer Nebenszene auftaucht, aber trotzdem sofort das Herz des Lesers erobern kann. Manche sind dabei zwar ein wenig stereotypisch dargestellt, wodurch man fast schon beim ersten Lesen des Namens ziemlich sicher weiß, welche Rolle diesem Charakter im weiteren Verlauf des Buches zufallen wird. Trotzdem gelingen auch hier einige Überraschungen, die manchmal Hoffnungen wecken, manchmal aber auch zerstören. Insgesamt kann man also sagen, dass LÚM – Zwei wie Licht und Dunkel ein wirklich erfrischendes Debüt darstellt, das durchaus mit „großen“ Namen aus der Dystopien-Welt mithalten kann und nicht nur auf Grund des hübsch anzuschauenden Covers mindestens einen zweiten Blick wert ist.
Fazit:
Mit LÚM – Zwei wie Licht und Dunkel kommt eine neue Dystopie aus Deutschland auf den Buchmarkt und Eva Siegmunds Debüt kann sich durchaus mit den hochgelobten Konkurrenten aus Amerika und aller Welt an einen Tisch setzen. Ein gut durchdachtes Setting, eine neuartige Idee, authentische Charaktere und ein angenehmer Stil machen dieses Stand-Alone zu einem besonderen Lesevergnügen. Einige Schwächen zeigt der Roman zwar noch, doch man darf sich hoffentlich bald auf mehr von der Autorin freuen, denn hier ist definitiv ein großes Potential zu erkennen.
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