Schattenblüte – Die Verborgenen (Nora Melling)
Rowohlt Polaris, 1. Auflage November 2010
Flexcover, 352 Seiten
14,95 €
ISBN: 978-3-86252-000-8
Leseprobe
Genre: Jugend-Fantasy
Klappentext:
Eine Liebe‚ stärker als der Tod
Seit dem Tod ihres Bruders ist für Luisa nichts mehr, wie es war. Sie beschließt zu sterben. Aber kurz vor dem letzten Schritt hält jemand sie auf: Thursen nennt sich der Junge mit den geheimnisvollen Schattenaugen. Mit einer Gruppe Jugendlicher lebt er im Wald, und er spürt Luisas Schmerz. Die «Verborgenen» können ihre Gestalt ändern: Sie sind Werwölfe. Mit jeder Verwandlung wird Thursen mehr zum Tier – und die Erinnerungen an sein vorheriges Leben verblassen. Bald wird er ganz Wolf sein. Dann hat Luisa auch ihn verloren. Für ihre große Liebe würde sie alles tun. Doch reicht das, um Thursen zu retten?
Rezension:
Und dann, zum ersten Mal seit wir uns kennen, sieht er richtig glücklich aus. Strahlt seine stille Freude zu mir, hell wie die Sonne am Morgen.
Und ich leuchte zurück, spiegle, breche seinen Glanz in tausendfache Farben. Fühle, wie meine Seele vor Glück brennt. Ich möchte diesen Augenblick festhalten, für immer. Jede Sekunde mit Thursen ist kostbar. Irgendwann wird er Wolf werden, mich verlassen, mich vergessen. Aber nicht jetzt, nicht heute. In diesem Moment ist er da. Ganz da, ganz bei mir. Mehr als er es jemals war. Er ist mir nahe, denn er hat mir vertraut, sich mir offenbart, mir gesagt, was er ist. Dieser Augenblick, in dem wir zusammen sind, er mich anlächelt so voller Glück, ist umso wertvoller, da er vergehen wird. Sein Gesicht, sein Lächeln ist so kostbar, weil es schon bald für immer verschwunden sein wird, hinter dem struppigen Gesicht des Wolfs, der in ihm wohnt.
(Seite 129)
Nach dem Tod von Fabi(an), Luisas jüngerem Bruder, ist die Familie mehr oder weniger Hals über Kopf von Hamburg nach Berlin gezogen und hat alles in der Hansestadt zurückgelassen, was an den Jungen erinnert hat. Für Luisa ist das Leben in Berlin unerträglich, sie vermisst ihren Bruder und wird überall an ihn erinnern, ihre Eltern nehmen sie nicht mehr wahr und hören ihr nicht zu. Deshalb beschließt Luisa an ihrem siebzehnten Geburtstag, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ein abgesperrter Turm, der wegen seiner Einsamkeit seit Langem zu ihren Lieblingsplätzen gehört, soll sie aus diesem Leben holen und wieder zu ihrem geliebten Bruder bringen. Auf dem Weg dorthin folgt ihr ein Hund, der ihr auch in den letzten Tagen schon des Öfteren nachgestellt hat, worüber Luisa sich zwar wundert, doch an diesem Tag ist ihr alles egal. Sie möchte einfach nicht mehr leben, was soll sie sich da an einem Hund stören? Auf den Turm wird er ihr sowieso nicht folgen können, und tatsächlich: Als sie oben steht und in den Abgrund schaut, ist nichts mehr von dem schwarzen Zottelfell zu sehen. Doch als sie schließlich den entscheidenden Schritt gehen möchte, hält sie jemand mit eisernem Griff fest und zieht sie vom Geländer und der Gefahr des Absturzes weg.
Thursen nimmt Luisa das Versprechen ab, alles zu tun, um am Leben zu bleiben. Nach anfänglichem Sträuben und Zetern stimmt sie schließlich zu – und der Junge geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder sucht sie die Gegend auf, in der der Turm steht und Thursen sie gerettet hat. Und immer wieder taucht da wieder dieser zottelige Hund auf, der Thursen gehören muss. Doch als sie den Spuren folgt und mitten im Wald auf ein Wolfsrudel trifft, stößt sie dabei auf ein Geheimnis, das ihr Leben ein weiteres Mal verändern wird: Thursen ist ein Werwolf und verliert mit jeder Verwandlung zum Menschen und zurück mehr von seinem Erinnerungsvermögen. Weil er schon lange Werwolf ist, fällt ihm die Verwandlung immer schwerer und an seine Vergangenheit kann er sich so gut wie gar nicht mehr erinnern. Luisa beginnt damit, Nachforschungen anzustellen, um den Erinnerungsverlust zu stoppen und ihre Zeit mit Thursen um jeden Preis zu verlängern. Dabei werden ihr mehr als einmal Steine in den Weg gelegt – und ist ihre Entscheidung, Thursen um ihretwillen retten zu wollen, überhaupt die richtige für alle Beteiligten? Oder bringt sie nur alles in Gefahr, was ihr noch etwas bedeutet?
Teenager-Liebe im Werwolfformat – eine wirklich neue Idee bringt Nora Melling mit Schattenblüte: Die Verborgenen definitiv nicht auf den Markt. Trotzdem wird der Leser schon allein durch die optische Aufmachung des Buches neugierig gemacht und in den Bann gezogen – was erwartet den Leser hier?
Allen Punkten voran eine detailreiche Beschreibung der grünen Ecken Berlins, im Speziellen des Grunewaldes. Ideal für alle, die endlich eines Besseren belehrt werden möchten in Bezug auf die angebliche Betonwüste der deutschen Hauptstadt. Trotz der schier unglaublichen Abneigung Luisas gegen diese Stadt, in die ihre Eltern sie nach Fabians Tod geschleppt haben, gelingt es der Autorin durch ihre Protagonistin, Berlin in einem liebevollen Licht erstrahlen zu lassen, sodass gerade den Lesern, die die Stadt kennen, das Herz in den Beschreibungen bekannter Orte aufgeht. Hier sammelt die Autorin sofort Pluspunkte und überzeugt durch originalgetreue Bildhaftigkeit.
Nicht ganz so gelungen hingegen ist der inhaltliche Teil. Mitunter bekommt man den Eindruck, dass Nora Melling selbst nicht so genau wusste, wie sie ihre Charaktere, allen voran Luisa, gestalten soll. Der nachvollziehbare Zwiespalt, in dem die Protagonistin sich befindet, wird unzureichend dargestellt, obwohl er ständig in Erwähnung gelangt. An mehreren Stellen möchte man sich Luisa greifen und sie anbrüllen, sie möge sich doch endlich einmal für eine Seite, für einen Weg entscheiden. Dadurch gestaltet sich das Hineinversetzen eher schwierig, was sich auch auf das Verhalten in der Familie allgemein überträgt. Luisa bleibt tage- und teilweise auch nächtelang weg, ohne dass es jemandem aufzufallen scheint. Und sie selbst macht sich darüber auch keine Gedanken – von einem siebzehnjährigen Mädchen, also einer fast erwachsenen Frau, kann man ein wenig Verantwortungsbewusstsein schon erwarten. Sicherlich ist das Gehirn durch die Gefühle, die Thursen in Luisa auslöst, und die Sorgen, die sie sich um ihn macht, und die Angst ihn zu verlieren, die sie hat, hin und wieder mal außer Gefecht gesetzt, doch insgesamt erscheint sie sehr unreif und vor allem unausgeglichen zu sein. Hier wäre es interessant zu erfahren, wie Luisa vor dem Umzug nach Berlin, vor dem Tod ihres Bruders war. Denn der Verlust eines geliebten Menschen verändert oftmals die Persönlichkeit, doch in Schattenblüte: Die Verborgenen ist dies nur unzulänglich nachvollziehbar.
Als Auftakt einer mehrteiligen Reihe eignet sich das vorliegende Buch hingegen sehr gut. Man lernt das Umfeld kennen und kann sich ein Bild der agierenden Charaktere machen. Einige Stolperstellen in allen Bereichen können bei weiteren Bänden ausgemerzt werden und der eine oder andere Charakter, der die Neugier geweckt hat, erhält hoffentlich die Chance, mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu können und noch ein bisschen mehr ausgearbeitet zu werden. Durch das in sich zwar abgeschlossene, als Serienteil aber offene Ende hält Nora Melling sich mehrere Wege für Fortsetzungen offen – man darf gespannt sein, für welche(n) sie sich entscheidet und was die Leser weiterhin erwarten wird.
Fazit:
Optisch betrachtet ist Schattenblüte: Die Verborgenen bereits eine wahre Augenweide. Leider verbessert die Aufmachung des Buches nicht den Inhalt, der auch nach längerem Wirkenlassen nicht wirklich überzeugen kann. Erkennbares Potential in allen Bereichen hinterlässt jedoch Hoffnung auf die Folgebände, in denen sowohl Story als auch Charaktere weiter wachsen könnten.
Wertung:
Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 4/5
Interview mit Nora Melling (24.03.2011)
Melling, Nora: Schattenblüte – Die Wächter
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