Schweigt still die Nacht (Brenna Yovanoff)

Schweigt still die Nacht (Brenna Yovanoff)

Klappentext:

Die Wahrheit lautet schlicht: Man kann eine Stadt verstehen,
man kann sie kennen, lieben und hassen zugleich.
Man kann ihr grollen und es ändert sich nichts.
Letzten Endes ist man doch nur ein Teil von ihr.

Mackie Doyles Geheimnis und das seiner Stadt sind untrennbar miteinander verbunden. Um sein Leben zu schützen, tut er gut daran, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch als ein Kind verschwindet, muss Mackie sich entscheiden: Bricht er das Schweigen oder lässt er das Entsetzliche geschehen?

Innerer Klappentext:

Mackie Doyle lebt in Gentry, einer Kleinstadt in der amerikanischen Provinz. Doch die Welt, aus der er stammt, birgt Tunnel bis tief unter die Erde und bodenlose schwarze Tümpel, sie beherbergt wandelnde Tote und eine Herrscherin, so grausam wie die Nacht. Vor vielen Jahren wurde Mackie ausgetauscht – anstelle eines menschlichen Babys in dessen Wiege zurückgelassen. Er würde alles dafür tun, ein normales Leben zu führen, unbemerkt von neugierigen Augen, doch die andere Seite der Nacht ruft ihn: Als wieder ein Kind verschwindet, die Schwester seiner großen Liebe Tate, weiß Mackie, dass er sich den dunklen Kreaturen tief unter der Stadt stellen und endlich seinen Platz finden muss – in unserer Welt oder ihrer.


Rezension:

Das Baby liegt in der Wiege; es weint, ängstlich und verstört. Sein Gesicht leuchtet hell zwischen den Gitterstäben auf. Der Mann kommt durchs Fenster – hager, schwarzer Mantel – und greift sich das Baby. Dann lässt er sich wieder über die Fensterbank nach draußen gleiten, schiebt die Scheibe runter, setzt das Fliegengitter wieder ein. Und ist verschwunden. In der Wiege liegt etwas anderes.
In dieser Geschichte ist Emma noch ein kleines Kind. Sie klettert aus dem Bett und tapst in ihrem Schlafanzug durchs Zimmer. Als sie die Hand zwischen die Gitterstäbe steckt, kriecht das Ding in der Wiege näher. Es versucht, sie zu beißen, und sie zieht die Hand zurück, aber sie läuft nicht weg. Die ganze Nacht sehen sie einander in der Dunkelheit an. Am nächsten Morgen liegt das Ding immer noch zusammengekrümmt auf der mit Lämmern und Entchen bedruckten Matratze und starrt sie an. Das ist nicht ihr Bruder.
Das bin ich.
(Seite 19)

Es hört einfach nicht auf zu regnen in Gentry, der kleinen Stadt mit dem hohen Eisenvorkommen in der Erde. Die Tage sind trüb und wolkenverhangen, der Regen gehört bereits zum Alltag und fällt den Menschen gar nicht mehr auf. Er ist eben einfach immer da, und mitten drin lebt Mackie Doyle. Mackie, der zu dieser Stadt ein besonderes Verhältnis hat, denn er stammt nicht aus der Stadt selbst, sondern aus der Welt, die darunter verborgen liegt. Denn Mackie ist nicht wie die anderen Jugendlichen in seiner Umgebung – er ist ein Wechselbalg. Als Säugling wurde er gegen ein echtes Menschenbaby ausgetauscht und wuchs an seiner Stelle in der Familie Doyle auf. Normalerweise bemerkt die Familie diesen Austausch nicht, die einzige Veränderung ist die, dass das Kind krank wird und früh stirbt, nur selten erreichen Wechselbälger das Jugendalter. Nicht so bei den Doyles, denn aus Gründen, die in der Vergangenheit von Mackies Mutter liegen, wissen sie um den Austausch ihres Sohnes gegen Mackie. Es bleibt ein Geheimnis der Familie und Mackie wird wie ein echtes Kind geliebt, obwohl man wahrscheinlich anderes erwarten würde.

Mackie versucht sein Bestes, um nicht in der großen Masse aufzufallen. Verborgenheit ist sein wichtigstes Werkzeug, daher ist er eher zurückgezogen und lässt nur wenige Menschen an sich heran. Eine sehr enge Beziehung pflegt er zu seiner Schwester und auch wirkliche Freundschaft verbindet ihn nur mit einer Handvoll Mitschülern. Bis die Schwester einer Mitschülerin krank wird und stirbt. Dies ist der Moment, in dem Mackie klar wird, dass er nicht länger verleugnen kann, woher er kommt und wohin die Kinder, die so früh sterben müssen, gebracht werden. Er fasst einen Entschluss und tut alles dafür, die Tates Tränen und ihre Verzweiflung um den Verlust ihrer Schwester ins Gegenteil zu kehren. Mit Hilfe unerwarteter Verbündeter und seiner wenigen Freunde nimmt er den Kampf gegen seine Herkunft und die verborgene Welt im Untergrund der Stadt auf – doch wird das reichen, um eine wirkliche Veränderung geschehen zu lassen?

Brenna Yovanoffs Schweigt still die Nacht ist eines der Highlights im diesjährigen Programm des script5-Verlages. Und das zu Recht, denn mit der Geschichte um Mackie Doyle begibt sich die Autorin auf einen Weg, der in der Unterhaltungsliteratur – gerade im Bereich für Jugendliche – ein eher selten eingeschlagener ist. Diese Lücke, dieses Schlupfloch nutzt sie geschickt, um ihr Talent zum Geschichtenerzählen zum Ausdruck zu bringen und den Leser auf ihre Seite zu ziehen. Mit unglaublichem Detailreichtum erweckt sie eine Welt mit zauberhaften, aber auch erschreckenden Wesen – Wesen, die beängstigend und beeindruckend zugleich sind, zu denen man auf Anhieb Zugang findet, obwohl die Storyline selbst gar nicht so viel Handlungsspielraum hergibt. Das Geheimnis liegt in der Faszination des Unbekannten, des Mystischen und in der Fähigkeit der Autorin, all das zu verbinden und dem Leser in einer Art vorzulegen, die ihn förmlich dazu zwingt, das Geschriebene in sich aufzusaugen.

Bei der Gestaltung ihrer wichtigen Charaktere hat Brenna Yovanoff viel Liebe zum Detail bewiesen. Beim Lesen entstehen Figuren vor dem inneren Auge und werden lebendig – fast scheint es, als könnten diese Wesen jeden Moment aus dem Buch springen und sich neben den Leser setzen, ihm beim Weiterlesen über die Schulter schauen und mit einem Grinsen im gezeichneten Gesicht immer wieder nicken, wenn eine Stelle über sie an der Reihe ist. Diese Lebendigkeit ist einer der großen Pluspunkte, die Schweigt still die Nacht verzeichnen kann, hinzu kommt die passende Düsternis der unheimlich dichten Atmosphäre – wenn es eine perfekte Umgebung für dieses Buch gibt, ist es eine schummrige Ecke, während der Regen gegen die Fenster peitscht. Denn dann fühlt man sich fast in die Kleinstadt Gentry versetzt, sitzt neben Mackie und seiner Schwester auf dem Dach vor seinem Zimmerfenster und lauscht den beiden bei ihren Gesprächen.

Ich träume von Feldern, düsteren Tunneln, aber nichts ist deutlich zu erkennen. Ich träume von einer dunklen Gestalt, die mich in die Wiege legt, die hand auf meinen Mund legt und mit etwas ins Ohr flüstert. Psst, sagt sie. Warte. Dann ist niemand mehr da, niemand berührt mich, und als der Wind durch den Fensterspalt hereinweht, wird meine Haut ganz kalt. Ich wache auf und fühle mich einsam und die Welt kommt mir groß und eisig und unheimlich vor. Als würde mich nie wieder jemand berühren.
(Seite 9)

Für Mystery-Fans ist dieses Autorendebüt eine wundervolle Möglichkeit, weitere Mythen zu entdecken oder tiefer in bereits bekannte Mysterien einzutauchen. Neben dem überzeugenden Inhalt, der durchaus Potential für Fortsetzungen birgt, darf man dem Verlag für die Gestaltung ein großes Lob aussprechen. Bereits das Cover und die Aufmachung des Inneren verspricht einen großen Genuss – zum Lesen und zum Gucken.


Fazit:

Der Mythos um die Wechselbälger ist ein nur wenig in der Unterhaltungsliteratur auftauchendes Thema. Brenna Yovanoff greift dieses Thema in Schweigt still die Nacht geschickt auf und verpackt es in eine spannende und nachvollziehbare Geschichte, die nicht nur für Jugendliche geeignet ist, sondern auch Erwachsene mitreißen kann. Mit der genau richtigen Mischung aus leichtem Lesestil, düsterer Atmosphäre und mystischer Thematik gelingt hier ein Debüt, das auf weitere Bücher der Autorin hoffen lässt.




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