Seelenficker (Natascha)
Klappentext:
„Ich dachte immer, wenn ich Drogen nehme, dann können sie ruhig meinen Körper ficken, dann sollen sie mit mir machen, was sie wollen. Denn ich hasse meinen Körper, der ist so fett und hässlich und unförmig und sowieso habe ich es nicht besser verdient.
Doch wenn die Drogen aufhören zu wirken, merke ich, dass die Kerle auch meine Seele ficken. Das tut weh, nein, mehr noch, das zerstört, ohne zu zerstören, man bleibt übrig und weiß, dass man kaputt ist, unheilbar und dass man damit leben muss …“
Intensiv, offen und schockierend. Mit einer sensiblen Sicht für ihr eigenes Leben und die Dinge um sie herum, schildert die junge Autorin ihr Leben zwischen Drogen, Gewalt, Kinderstrich und ihren Träumen.
Ihre Unbefangenheit und ihre einzigartige Art, Dinge beim Namen zu nennen, machen ihre eigenen Narben zu den Zeichen der Verletzung einer ganzen Gesellschaft.
Rezension:
Bereits das Cover von Seelenficker schockiert wahrscheinlich jeden Normalsterblichen. Ein nacktes Mädchen, wahrscheinlich noch nicht einmal volljährig, mit Narben vom Ritzen auf Armen, Oberschenkeln und Brüsten, um den Hals einen pinkfarbenen Babynuckel. Ein Cover, das jedoch einen fast harmlosen Eindruck von dem verschafft, was den Leser im Inneren des Buches erwartet.
(Anmerkung: Die Rezensentin hat ein Exemplar der früheren Auflage gelesen, zum Druck der dritten Auflage war der Verlag gezwungen, das Cover harmloser zu gestalten.)
Seelenficker ist ein Tagebuchroman und die erste Frage versteckt sich bereits auf der ersten Seite. Dort springt einem in schwarzen fetten Lettern der Satz „Man kann nie genug Pseudonyme haben!“ entgegen, und tatsächlich fragt man sich: Ist dieses Buch Fiktion oder die schonungslose Wahrheit?
Der Leser wird sofort ins Geschehen gezogen, kann sich nirgends festhalten und bekommt auch während des gesamten Buches kaum Zeit, einmal auszusteigen und Luft zu holen – das Buch ist ein einziger Wirbelsturm, der den Leser immer tiefer mit in den Abgrund reißt. Während man anfangs, während der ersten zwei oder drei Kapitel, das Buch immer wieder zur Seite legt, kopfschüttelnd und sich in Erinnerung rufen müssend, dass es sich hierbei um die wahren Aufzeichnungen eines jungen Mädchen handelt, vereinnahmt Natascha im weiteren Verlauf zunehmend den Kopf, das Herz und auch die Seele des Lesenden. Sie schafft es nur durch ihre Worte, durch ihre ganz privaten und eigentlich geheimen Tagebucheintragungen, dass man sie packen und schütteln will. Dass man ins Buch greifen, ins Geschehen eingreifen und ihr helfen möchte. Nach 105 Seiten purer Realität bleibt man nachdenklich und erschüttert zurück.
Eindrucksvoll, intensiv und geradezu hautnah erlebt der Leser mit, wie Natascha sich aufrappelt, aufsteht, erneut abstürzt, sich an ihren Träumen hoch hangelt, ins Stolpern gerät … es ist erschreckend, mit welcher Klarheit sie in ihren Drogensümpfen schreiben und in Worte fassen kann, was sie denkt. Direkt und schonungslos zeigt sie, wie das Leben auf der Straße sein kann und ist, und dass dort niemand freiwillig landet. Immer wieder erwähnt sie Träume und Pläne – die Schule mit Abitur beenden; eigene Kinder bekommen, die anders behandelt werden als ihre Mutter sie behandelt; von den Drogen wegkommen; dem Babystrich entfliehen. Was so leicht klingt, ist sehr viel schwerer, als man als Nichtbetroffener erahnen kann – auch dies wird durch Seelenficker sehr deutlich bewusst gemacht.
Mit Seelenficker hat UBooks ein erschütterndes Stück Literatur auf den Markt gebracht, das in seiner Aufmachung durch eingefügte „handschriftliche“ Anmerkungen und Notizen einen ganz besonders eindrucksvollen Nachgeschmack hinterlässt. Es ist ein Buch voller Abschaum, voller Selbsthass und Selbstzweifel, voller Abgründe – doch auch Hoffnung ist zu finden und ganz tief vergraben das Wissen, dass man es schaffen kann.
Nataschas Aufzeichnungen beinhalten eine niederschmetternde Poesie, eine ungeschönte Wahrheit über unsere Gesellschaft und viel Potential für Leser, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Man kann nur hoffen, dass das Buch viele Menschen in die Hand nehmen, lesen und weiterempfehlen – dass sie aufwachen und hinsehen anstatt zu träumen und wegzuschauen.
Als Goodies enthält Seelenficker ein ergreifendes Nachwort von Andreas Köglowitz und Andreas Reichhardt, eine Leseprobe aus Satt. Sauber. Sicher., des dritten Buches aus der Feder Dirk Bernemanns, und nicht zuletzt eine ganze Reihe von weiteren kurzen, aber geschmackvollen und Interesse weckenden Büchervorstellungen aus der Kategorie „Anti-Pop“ des UBooks-Verlages.
Meine persönliche Wertung wären definitiv fünf Sterne, doch auf Grund der Spezialität dieses Buches möchte und werde ich von einer Bewertung absehen. Bei „Seelenficker“ handelt es sich nicht um bewertbare Literatur, denn es ist ein Stück wahres Leben. Diese Realität sollte und darf nicht mit Abzeichen belohnt werden.
Interview mit Natascha (15.10.2009)
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Ich hab die Unschuld kotzen sehen I + II (Dirk Bernemann)