Sieben Minuten nach Mitternacht (Patrick Ness & Siobhan Dowd)
Klappentext:
Das Monster tauchte kurz nach Mitternacht auf.
Wie Monster das so machen.
Conor war wach, als es kam.
Er hatte einen Albtraum gehabt.
Na gut, nicht irgendeinen. Den Albtraum.
Den einen, den er in letzter Zeit ziemlich oft hatte.
Den mit der Dunkelheit und dem Wind und dem Schrei.
Den mit den Händen, die er irgendwann nicht mehr festhalten konnte,
egal wie sehr er sich bemühte.
Den, der immer damit endete, dass …
Glaubwürdig, herzzerreißend und unendlich tröstlich – dieses Buch lässt keinen mehr los.
Rezension:
Ich hatte und habe das Gefühl, als sei ein Stab an mich weitergereicht worden; als habe eine besonders gute Schriftstellerin mir ihre Geschichte gegeben und gesagt: „Lauf. Lauf damit los. Stifte Unruhe.“ Und das habe ich versucht. Untergwes gab es für mich nur eine einzige Leitlinie: ein Buch zu schreiben, von dem ich glaubte, dass es Siobhan gefallen würde. Kein anderes Kriterium konnte letztendlich zählen.
Und jetzt ich es an der Zeit, den Stab an euch weiterzureichen. Geschichten hören nicht bei denen auf, die sie schreiben, egal, wie viele von uns ins Rennen gegangen sind. Hier ist das, was Siobhan und ich uns ausgedacht haben. Und nun lauft. Lauft damit los.
Stiftet Unruhe.
(aus dem Vorwort von Patrick Ness)
Seit einiger Zeit schläft Conor sehr schlecht, immer wieder quält ihn ein Albtraum, von dem er niemandem auf der Welt jemals erzählen wird. Als er eines Nachts wieder einmal aus dem Schlaf gerissen wird, ist jedoch etwas anders, denn vor seinem Fenster steht ein Monster. Furchteinflößend ist es zwar nicht, dennoch gibt es Conor zu denken, denn von nun an stattet es ihm regelmäßig Besuche ab. Immer zur selben Zeit, immer um sieben Minuten nach Mitternacht. Was Conor erwartet, ist jedoch nicht das typische Grauen, das nachts in die Kinderzimmer huscht und in Schränken oder unter dem Bett lauert. Nein, das Monster hat eine Bestimmung und bringt den Jungen anhand von drei Geschichten dazu, seinen Albtraum endlich zu teilen, seine Angst loszulassen. Und nicht nur die, denn Conors Albtraum kommt nicht einfach irgendwo her – die Angst, die ihn jede Nacht im Traum verfolgt und einholt, hat auch im Wachsein von ihm Besitz ergriffen. Und so lange er an seinem Albtraum festhält, wird weder das Monster noch seine Angst verschwinden.
Bevor Siobhan Dowd im Jahr 2007 ihrem Krebsleiden erlag, entwickelte sie die Grundidee und die Figuren zu Sieben Minuten nach Mitternacht. Außerdem verfasste sie bereits ein Exposé und widmete sich dem Anfang der Geschichte, die sie ihrem guten Freund Patrick Ness mit der Aufgabe hinterließ, Conors Weg weiterzuführen und zu einem würdigen Abschluss zu bringen. Gemeinsam mit dem Illustrator Jim Kay nahm Ness sich dieser Aufgabe an und erschuf nach den Vorgaben der verstorbenen Kinderbuchautorin ein Werk, das nicht feinfühliger und behutsamer mit dem Thema des Verlustes umgehen könnte. Obwohl die Zeichnungen von Jim Kay, die sich durch das gesamte Buch ziehen, sehr düster und mitunter erschreckend sind, haben sie auch etwas Tröstliches an sich. Der ohnehin stimmungsvolle und atmosphärische Text, dessen Lesen man immer wieder zu unterbrechen gezwungen ist, wird durch diese Bilder noch zusätzlich unterstützt – sie bilden eine Art Schutzhülle um Conors Geschichte und liefern gleichzeitig einen Grund mehr, sich immer weiter vorzuarbeiten. Was Jim Kay mit seinen Zeichnungen schafft, ist auch Patrick Ness mit Worten gelungen. Emotional, aber nicht kitschig oder gar übertreibend gibt Ness dem Leser die Chance, selbst zu entscheiden, ob und wie weit man sich in die Geschichte fallen lassen möchte. Eine Gratwanderung auch für den Leser, denn wenn Sieben Minuten nach Mitternacht eines definitiv ist, dann mitreißend auf jede nur erdenkliche Weise. Es fällt schwer, sich nicht vollständig an Conors Seite stellen und dem 13jährigen Jungen ein Stück seiner Ängste und Verantwortung abnehmen zu wollen.
Der Umgang mit und die Umsetzung einer solch schwierigen Thematik stellt immer wieder neue und auch erfahrene Autoren vor eine Herausforderung. Nicht immer gelingt es, trotz der belastenden Schwere auch eine gewisse Leichtigkeit beizubehalten und dem Leser nicht nur eine Last auf die Schultern zu legen, sondern auch den Unterhaltungswert nicht außen vor zu lassen. Patrick Ness schafft es mit seiner stilsicheren und einfachen Sprache, sowohl jugendliche als auch erwachsene Leser in vollem Maße anzusprechen und dabei sämtliche Charaktere und Ereignisse so lebensecht wie nur irgendmöglich darzustellen. Wie viel hiervon den eigenen Erfahrungen und Eindrücken von Siobhan Dowd zuzuschreiben ist, kann wahrscheinlich keiner zu hundert Prozent beantworten. Fakt ist jedoch, dass dieses Buch anders ist als andere zum Thema. Es hebt sich ab, nicht nur durch seine Vorgeschichte und das Zusammenspiel dreier verschiedener Menschen, sondern auch durch seine Umsetzung und die nachwirkende Tiefe.
Trotz der noch auffallend zahlreichen in der vorab zur Rezension zur Verfügung gestellten Druckfahne vorhandenen Fehler und Anmerkungen des Verlages versteht bereits das noch unfertige Buch es hervorragend, den Leser auf vielerlei Art in seinen Bann zu ziehen. Völlig egal, ob in der düsteren Jugendbuchausgabe von cbj oder in der so gegenteilig hellen Erwachsenenausgabe des Goldmann-Verlages: Dieses Buch ist in jedem Fall ein Gewinn für jedes Bücherregal und sollte nicht nur von Betroffenen gelesen werden.
Fazit:
Sieben Minuten nach Mitternacht ist eine wundervolle Zusammenarbeit zweier Autoren und eines Illustrators, die einfühlsam mit dem Thema Krebs und dem Verlust eines geliebten Menschen umzugehen weiß. Die einnehmende Grundidee von Siobhan Dowd findet in der mitreißenden Umsetzung durch Patrick Ness und den beängstigenden Illustrationen von Jim Kay ein wohlbehütetes Zuhause, das als Gesamtpaket nicht nur Jugendlichen, sondern auch Erwachsenen durchaus ans Herz gelegt wird. Eine Geschichte vom Loslassen und Festhalten, die nahe geht und lange nachwirkt.
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