Vor uns die Nacht (Bettina Belitz)
Klappentext:
Sie hassen sich, wenn sie miteinander reden. Und sie lieben sich, wenn sie sich berühren. Sicher ist nur eins: Seit Ronia Jan getroffen hat, ist nichts mehr wie zuvor. Seit sie ihn das erste Mal gesehen hat, muss sie jeden Freitag zurückkehren. Abends. An den Fluss. Wenn es dort still und einsam ist. Hier, so hofft sie, wird sie ihn wiedersehen …
Rezension:
Ein gefallener Engel, der sich mit jeder Faser seines Seins dessen bewusst ist, wie verflucht schön er ist, auf eine abgerissene, unterschwellig sexuelle Art und Weise, das ja, aber trotzdem schön.
(Seite 24)
Ausgerechnet an Weihnachten wird die 21-jährige angehende Archäologin Ronia von ihrem Freund verlassen – schon wieder, könnte man fast sagen, denn Ronia hat schon so einige, mal mehr, mal weniger lange andauernde Beziehungen hinter sich gelassen. Und jedes einzelne Mal war das Ende ein ziemliches Drama, denn Ronia kann nur schwer loslassen, selbst wenn sie weiß, dass die Beziehung am Ende ist und sich durch nichts mehr retten lassen wird. In ihrem Kummer verkriecht sich Ronia bei ihren Eltern und in ihrer Alibi-WG, bei ihrem Mitbewohner Jonas, einem anständigen Polizisten, findet sie immer ein offenes Paar Arme, und ihre Eltern, ein Pfarrer-Ehepaar, würden sie nur zu gern fest an seiner Seite sehen. Doch Ronia empfindet nicht auf diese Weise für ihren besten Freund, und als sie auf einer Party dem unnahbaren, aber faszinierenden Jan begegnet, fühlt sie sich sofort von ihm angezogen. Der in der Stadt mehr als River bekannte junge Mann ist berüchtigt für sein Aussehen, seine Drogengeschichte und seinen sehr wechselhaften Umgang mit Frauen. Trotzdem winkt Ronia alle Warnungen nur mit einem müden Lächeln ab und lehnt sich gegen ihr bisher sehr behütetes Leben auf. Sie macht sich bewusst auf die Suche nach Jan, entwickelt einen an Besessenheit grenzenden Drang nach seiner Nähe und hinterlässt dabei viele Wunden bei den Menschen, denen sie wichtig ist.
Bettina Belitz ist kein unbekannter Name in der Literatur – mit Vor uns die Nacht erscheint bereits der fünfte Roman für junge Erwachsene, und auch hier kann die Autorin das Leserherz wieder vollends mit ihrer wunderschönen, sehr poetischen Sprache begeistern und für sich gewinnen. Wieder einmal erwartet den Leser eine besondere Geschichte, deren Grundidee nicht unbedingt neu ist, jedoch sehr gekonnt in Szene gesetzt wurde. Obwohl der Klappentext eine Liebesgeschichte verspricht, sucht man hier allerdings vergeblich nach den klassischen Komponenten, die eine solche Story ausmachen. Auch die romantischen Bedingungen finden sich hier nicht – jedenfalls auf den ersten Blick, denn Belitz stellt erneut ihr Können unter Beweis und lässt vieles zwischen Zeilen einfließen. Für den Leser kommt die Story daher manchmal ein wenig abgeklärt rüber, weil sich die umfassende Schönheit der dunkel-atmosphärischen Romantik erst ein paar Sätze später offenbart. Vor uns die Nacht ist daher kein einfach zu lesendes Buch, vielmehr muss sich der Leser wirklich in die Geschichte fallen lassen, um den vollen Lesegenuss ausschöpfen zu können. Die Liebesbeziehung, um die es sich hier dreht, ist nichts Oberflächliches, sondern geht ziemlich in die Tiefe und zeigt, wie schnell eine Schwärmerei zu einer echten Obsession werden kann und wie leicht das bisherige Leben einem egal werden kann, wenn die Liebe einen richtig erwischt.
Wie man es bereits aus anderen Romanen von Bettina Belitz kennt, haben die Charaktere auch hier wieder eine sehr authentische Gestaltung, die dem Leser auf der einen Seite eine gewisse Identifikation ermöglicht, ihm aber auf der anderen Seite auch ganz schön auf die Nerven gehen kann. Gerade Ronia weckt mit ihrem Wesenswandel besonders im Mittelteil sehr zwiespältige Gefühle, während Jan beinahe die ganze Zeit über sehr Abstand wahrend und fast schon zu kühl wirkt. Doch gerade das macht ihn zu einem besonders interessanten Protagonisten, zu dem man keine zu enge Bindung aufbauen will, gegen dessen Charme man sich allerdings nur schwer wehren kann. Auch Jonas, Ronias Mitbewohner, und Johanna, ihre beste Freundin, sowie ihre Eltern haben einen festen Platz im Buch gefunden und mischen die Geschichte zwischendurch kräftig auf. Es ist für den Leser sehr nachvollziehbar, dass Ronia sich aus den elterlichen Umsorgungsfängen befreien will und dabei teilweise zu sehr drastischen Mitteln greift, denn in dem Pfarrershaushalt ist sie sehr behütet, aber eben auch sehr eingeengt aufgewachsen. In Jan findet Ronia daher scheinbar den passenden Grund für einen Ausbruch aus dieser Enge – Belitz hat sich sehr viel Mühe gegeben, diesen unterdrückten Zorn in Worte zu verpacken und dem Leser authentisch vorzulegen.
Ein Gesamtkunstwerk, das nicht nur mit den Charakteren und einer schönen Sprache zu beeindrucken weiß, sondern auch durch ein tolles Setting besticht. Vor allem die Gestaltung der Umgebung ist Bettina Belitz sehr gut gelungen – die Stadt und besonders der Fluss mit seinem wandelbaren Ufer und dem Waldstück laden ein, selbst einmal eine kleine Laufrunde dort zu machen. Und wer weiß, ob man nicht vielleicht sogar Ronia und Jan über den Weg läuft?
In jedem Fall kann man Vor uns die Nacht sicherlich jedem ans Herz legen, der sich gerne einer etwas anderen Liebesgeschichte öffnen möchte und in der Lage ist, die Schönheit der Worte auch zwischen den Zeilen zu entdecken.
Fazit:
Dass Bettina Belitz ein enormes schriftstellerisches Talent besitzt, hat sie schon mehrfach unter Beweis gestellt – mit Vor uns die Nacht bringt sie nun einen etwas anderen Liebesroman für junge Erwachsene auf den Markt, der mit authentischen Charakteren, einem tollem Setting und einer zauberhaften, poetischen Sprache definitiv überzeugen kann. Wer nach klassischer Liebe und Romantik sucht, ist hier falsch – Neuem gegenüber offene Zwischen-den-Zeilen-Leser kommen hier jedoch vollends auf ihre Kosten.
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2 Kommentare
Hah, die zweite Bewertung von dir, die wir gleich haben. Ich habe dem Buch auch 4/5 Belle gegeben und war mir am Anfang nicht sicher, ob es total genial oder völlig blöd ist. Habe mich aber dann doch für das Zweite entschieden, weil es einfach mal etwas ANDERES war.
Liebe Grüße
Vanessa
Ich habe mit „Vor uns die Nacht“ angefangen und es dann erstmal wieder zur Seite gelegt. So richtig komme ich in die Geschichte noch nicht rein. Ich werde dem Buch aber auf jeden Fall eine weitere Chance geben, denn eigentlich mag ich den Schreibstil von Bettina Belitz sehr.
LG
Yvonne