Zerfleischt (Tim Curran)
Klappentext:
Der ultimative Thriller!
Wenn Lesen zur Mutprobe wird …
Kannibalismus, Mord, Vergewaltigung – wenn die Zivilisation endet, wird die Erde zur blutbesudelten Hölle. Und der Mensch wird weniger Mensch sein.
Dieser Roman des Amerikaners Tim Curran ist ein Albtraum von epischem Ausmaß – ohne einen Spritzer Mitleid.
Rezension:
„Oh, wie arrogant wir waren!“, wütete Earl. „Zu glaube, dass wir die Herrscher dieses Planeten seien! Zu glauben, wir könnten die Umwelt vergewaltigen und das Gesetz der Natur untergraben! Und die ganze zeit war es kein nuklearer Krieg oder irgendein tödlicher Krankheitserreger, der darauf gewartet hat, uns zu zerstören, sondern wir selbst! Wir sind die Instrumente unserer eigenen Zerstörung! Jeder von uns hat eine geladene Pistole in sich und die radikale Bevölkerungsexplosion hat den Abzug gedrückt. Möge Gott uns beistehen, Louis, aber wir werden uns selbst ausrotten! Bestien des Urwalds! Töten, schlachten, vergewaltigen, plündern! Ein unbewusster, genetischer Drang wird alles beseitigen, was wir erschaffen haben, die Zivilisation ausweiden, die Menschheit wie Vieh abschlachten, weil wir von dem primitiven Drängen überwältigt sind und die menschliche Erinnerung Amok läuft!“
(Seite 161)
In einer Stadt mitten in Amerika liegt eine seltsame Atmosphäre in der Luft. Die Straßen sind wie ausgestorben, alles ist still – bis mitten auf der Straße am helllichten Tag ein Mann brutal zusammen geschlagen wird und niemand zur Hilfe eilt. Die drei Polizisten, die wenig später am Tatort vorbei kommen, scheinen die Sache ernsthaft zu betrachten und tauschen sich darüber aus, wie sie die baldige Leiche würdig bestatten können. Doch etwas ist komisch an diesem Gespräch: Sie scheinen eher ironisch an diesen Fall heran zu gehen und scheren sich überhaupt nicht darum, die Täter zu verfolgen und zu fassen. Schlimmer noch, auch die Polizisten drehen schließlich durch und prügeln ebenfalls auf den schwerverletzten Mann ein. Was ist da los?
Einst wunderschöne und gepflegte Frauen rennen verwahrlost durch die Straßen und ziehen eine Meute von Kindern hinter sich her. Ehemals stattliche Männer laufen gebückt und dreckverschmiert durch Gärten und lauern hinter den Zäunen denen auf, die allein durch die Gegend streifen und ein Schlupfloch suchen. Wohlerzogene Kinder quälen lebendig an Bäumen aufgeknüpfte Hunde und braten deren Fleisch über brennenden Müllhaufen. Liebevolle Rentnerinnen drehen ohne erkennbaren Grund durch und erschlagen ihre eigenen Ehemänner. Die ganze Stadt versinkt im Chaos und nur wenige Menschen scheinen noch normal zu sein.
Und mittendrin versucht Louis, seine Frau zu finden, um mit ihr gemeinsam die Stadt zu verlassen. Radiostationen und Fernsehsender sind längst nicht mehr auf Sendung und immer Menschen scheinen sich zurück zu entwickeln – alles wirkt wie eine Rückkehr an den Beginn der Evolution, wo immer nur der Stärkere überlebt hat und der Schwächere zu einem gefundenen Fressen wurde – im wahrsten Sinne des Wortes …
Wer den Festa-Verlag kennt, der weiß inzwischen, dass sich die dort publizierten Romane sehr stark an den Grenzen des Aushaltbaren bewegen – Bücher, die nicht einmal ihren Platz in Buchläden finden, weil sie schlichtweg zu krass sind. Bei Zerfleischt von Tim Curran ist diese „Vorsichtsmaßnahme“ vielleicht auch gar nicht die schlechteste Idee, denn was der Leser hier geboten bekommt, ist selbst für abgehärtete Mägen ziemlich herausfordernd. Da gibt es nicht nur sehr anschauliche Beschreibungen von dem Verfall, der in der amerikanischen Kleinstadt um sich greift und der teilweise wirklich ekelerregend, in jedem Falle aber erschreckend ist, dem Leser werden auch so manche Gedanken in den Kopf gepflanzt, allen voran immer wieder die Frage: Ist das ganze Szenario eigentlich so abwegig? Denn während der Lektüre gibt es tatsächlich den einen oder anderen Moment, an dem man sich denkt, dass einige beschriebene Szenarien in etwas abgewandelter Form schon jetzt jeden Tag auf der Welt passieren. Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis die Welt, die Tim Curran hier beschreibt, zur beängstigenden Wirklichkeit wird? Man will an etwas anderes glauben, doch der Autor versteht es sehr gut, sein Horror-Szenario so realitätsnah darzustellen, dass man sich nur schwer aus dieser Vorstellung herausziehen kann.
Neben der erschreckenden Vorstellung einer möglicherweise baldigen Bewahrheitung dieser Szenen ist es zeitweilig auch recht anstrengend, bei Zerfleischt am Ball zu bleiben, denn vieles wiederholt sich leider zu oft und lädt dazu ein, die eine oder andere Seite auch mal zu überblättern, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Das ist schade, weil sich das Lesetempo dadurch verlangsamt und der Lesefluss von Zeit zu Zeit etwas träge vor sich hinplätschert. Am Ende hat man sogar den Eindruck, dass das Buch ohne diese Wiederholungen mindestens ein Drittel weniger Umfang gehabt hätte, ohne dass hier etwas vom Inhalt verloren gegangen wäre. Dadurch fühlt sich der Leser hier und da ein wenig an der Nase herumgeführt, weil das Lesen fast zu einer sortierenden Aufgabe wird und immer mehr Gedanken sich darum drehen, was man schon mal gelesen hat und was sich zum wievielten Mal wiederholt. Dass die Story nicht viel Inhalt bietet, sondern eigentlich nur eine Aneinanderreihung von brutalen Übergriffen ist, macht das Ganze für den Leser dann auch nicht unbedingt einfacher.
Trotzdem schafft Tim Curran vor allem eins: Den Leser zu erschrecken. Und zwar nicht auf die Weise, die mit dem Zuklappen des Buches vorbei ist, sondern eine, die länger anhält und noch lange im Leser nachhallt – was nicht unbedingt die angenehmste Weise ist, ein Buch im Kopf zu behalten. Für echte Horror-Fans, die viel Blut und ähnliches in ihrem Lesestoff brauchen, ist Zerfleischt genau das richtige, auch wenn es einige Längen zu überwinden gibt. Auch Leser, die nach der Lektüre gerne noch eine Weile über das Gelesene nachdenken, könnte dieser Roman etwas sein. Anhänger des klassischen Thriller-Genres sollten hingegen lieber zu anderen Büchern greifen, denn obwohl Tim Curran auch eine ordentliche Portion Thrill liefert, ist es nicht die Art Thrill, die man sich von diesem Genre erwarten würde. Alles in allem lässt sich also sagen, dass hier tatsächlich ein besonderes Buch vorliegt, das nur eine kleine Zielgruppe erreichen dürfte – diese dafür dann aber wirklich komplett überzeugen kann.
Fazit:
Tim Currans Horror-Thriller wird seinem Titel und seinem Genre überaus gerecht: In Zerfleischt geht es nicht nur sehr brutal und sehr blutig zu, es fliegen auch ständig irgendwelche Leichenteile durch die Gegend. Wiederholungen bleiben da nicht aus und machen das Lesen von Zeit zu Zeit ein wenig mühselig, sodass man sich am Ende denkt, etwas weniger wäre auch okay gewesen. Eine erschreckende, aber ganz und gar nicht realitätsferne Zukunftsvision, die trotz allen Ekels durchaus lesenswert ist.
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2 Kommentare
„Trotzdem schafft Tim Curran vor allem eins: Den Leser zu erschrecken. Und zwar nicht auf die Weise, die mit dem Zuklappen des Buches vorbei ist, sondern eine, die länger anhält und noch lange im Leser nachhallt – was nicht unbedingt die angenehmste Weise ist, ein Buch im Kopf zu behalten.“
Haha, schande :D das is wieder einer jener Fälle, bei denen einem beim Autofahren immer vorkommt, jemand würd auf der Rückbank sitzen und man nachts das Licht brennen lassen muss :D
Danke für die tolle Rezi!! :)
Na ja, Alpträume hatte ich jetzt keine. Aber man denkt schon drüber nach, irgendwie. Ist halt ein wirklich erschreckendes Szenario.