Deutsche Nationalbibliothek feiert 100. Geburtstag
Am 3. Oktober 1912 wurde – auf Initiative des Börsenvereins – die Deutsche Bücherei in Leipzig gegründet. 78 Jahre darauf wuchs das Haus mit der Deutschen Bibliothek in Frankfurt zusammen. Am Dienstagabend feierte die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig ihren 100. Geburtstag. Ein glänzendes Fest – geprägt vom Stolz auf Geleistetes wie von wachsamen Blicken in die digitale Zukunft.
Für die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) ist der dritte Oktober ein besonderer Tag: Vor 100 Jahren, am 3. Oktober 1912, wurde auf Veranlassung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig die Deutsche Bücherei gegründet, pünktlich zur Wiedervereinigung 1990 endete die jahrzehntelange Doppelexistenz von Deutscher Bücherei und Deutscher Bibliothek in Frankfurt. Am Vorabend des schicksalsträchtigen Datums beging die DNB ihr 100jähriges Bestehen mit einem Festakt in Leipzig, der glanzvoller Höhepunkt eines ganzen Feier-Marathons war: 100 Veranstaltungen mit rund 4.000 Gästen wurden seit März an den Standorten Frankfurt/Main und Leipzig ausgerichtet, Ausstellungen, Konzerte, Gedenkmünze und Sonderbriefmarke, vier Ausgaben des Jubiläums-Magazins „HUNDERT“ sorgten für ein überwältigendes Echo.
100 Jahre sind lang für ein Menschenleben – für eine Bibliothek eher kurz. Dennoch waren zur Jubelfeier im Großen Lesesaal, musikalisch umrahmt von Gewandhaus-Bläsern mit Mozart und Hindemith, Freunde, Partner und Wegbegleiter der Jubilarin zu Hunderten gekommen, so dass es an den von grünbeschirmten Lampen beleuchteten Lesetischen rasch eng wurde: Verleger, Buchhändler, Bibliothekare von Palo Alto bis Kopenhagen, Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Kulturindustrie erwiesen der einzigartigen Bibliothek ihre Reverenz; auch die beiden ehemaligen Generaldirektoren Helmut Rötzsch und Klaus-Dieter Lehmann reihten sich unter die Gratulanten.
Zu vorgerückter Stunde verwandelte „Prinzen“-Frontmann Sebastian Krumbiegel die Festgemeinde in mitsingendes Party-Volk. Kein Wunder: Auch wenn die Bibliothek längst keine Einrichtung des Branchenverbands mehr ist, besteht zwischen denen, die sich ums „Prinzip Buch“ sorgen und jenen, die es, gedruckt oder elektronisch, zugänglich machen, eine symbiotische Verbindung. So lobte Alexander Skipis, der sich als Hauptgeschäftsführer des 1825 in Leipzig gegründeten Börsenvereins „quasi als Elternteil“ nach Hause gekommen fühlte: „Das Kind ist außerordentlich gut geraten!“
Auch wenn der Leipziger „Lesesaal Geisteswissenschaften“ sich heute noch weitgehend genau so präsentiert wie bei seiner Eröffnung 1916 – groß und hoch, die umlaufenden Büchergalerien altehrwürdig und mit Patina überzogen – ließen die Festreden keinen Zweifel daran, dass sich die Welt der Bücher derzeit in einem dramatischen Umwälzungsprozess befindet; einem Prozess, der in seinen Dimensionen an die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg heranreicht. Eine Revolution, die auch um die Deutsche Nationalbibliothek keinen Bogen macht – seit 2006 wurde ihr Sammlungsauftrag um Netzpublikationen erweitert. Kulturstaatsminister Bernd Neumann, zu dessen Geschäftsbereich die DNB heute gehört, sicherte der Bibliothek bei der Bewältigung ihrer digitalen Herausforderungen auch für die Zukunft die Unterstützung der Bundesregierung zu. Bereits jetzt seien vom Bund rund 11 Millionen Euro für das Projekt Deutsche Digitale Bibliothek (http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de) zur Verfügung gestellt worden; auch der Haushalt 2013 sehe „beträchtliche Mittel“ für das Vorhaben vor.
Dass „die Hoheit über die Inhalte und das kulturelle Erbe einer Gesellschaft“ nicht Großkonzernen überlassen werden könne, „denen es um Werbeeinnahmen geht und nicht darum, Wissen zugänglich zu machen“, betonte Alexander Skipis. Mit deutlichen Worten ging der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins auch auf den Umgang der Gesellschaft mit der „Ressource Geist“, die Umsetzung des Urheberrechts, ein. Skipis würdigte Neumann als „Partner, der alles dafür gibt, zu praktikablen Regelungen zu kommen“ – ließ aber unmissverständlich durchblicken, dass der Staatsminister für Kultur und Medien mit dieser Haltung in der Regierung beinahe allein stehe: „Eine Justizministerin, die nahezu drei Jahre nicht vom Urheberrecht redet – das ist fast ein Skandal.“ Eindringlich warb Skipis für klare Kante der Politik im anstehenden Diskussionsprozess ums Urheberrecht.
Jean-Frédéric Jauslin, dem ehemaligen Chef der Berner Landesbibliothek, heute Direktor des Schweizerischen Bundesamts für Kultur (BAK), blieb es in seiner von charmantem französischem Akzent eingefärbten Rede vorbehalten, noch einmal ins Grundsätzliche auszugreifen. Was sich vorderhand wie die aktuelle BAK-Image-Broschüre anhörte, so gar nicht für feierwillige Leipziger Gemüter passend, führte listig zu einer zentralen Frage des Abends: Was, bitte, ist denn eigentlich das „Gedächtnis der Nation“ – und wie bewahrt man es? Die Alpenrepublik, bekannt für Schokolade, hohe Berge und als Finanzplatz (wobei die Zahl der im Kulturbereich beschäftigten Eidgenossen mit 200.000 die der Banker deutlich übersteigt), hat noch keine Patent-Lösung – aber mit dem Wort „Memo-Politik“ immerhin eine interessante Begrifflichkeit eingeführt.
Jauslin entließ seine Zuhörer mit einem Wort Winston Churchills, das auch als Wegweiser in elektronisch aufgeregten Zeiten dienen sollte: „Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man vorausschauen.“
Quelle: boersenblatt.net
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