Drei Jahre Schattenwege – Das Juli-Spezial – Teil 3

Mitte Juli und wir sind schon beim dritten Teil des großen Juli-Spezials anlässlich des dritten Geburtstags der Schattenwege angelangt. Dieser Teil liegt mir besonders am Herzen, denn natürlich sollen auch einige Betroffene zu Wort kommen und darüber berichten können, wie es sich anfühlt, ein Schmetterlingskind zu sein und mit der Erbkrankheit Epidermolysis bullosa zu leben.

Diese Gelegenheit bekommen sie heute. Greta war so nett, ihre persönlichen Kontakte zu aktivieren und für mich einigen Betroffenen ein paar ausgewählte Fragen zu stellen. Meinen herzlichen Dank für den Mut, die Offenheit und das Vertrauen an diejenigen, die sich den Fragen angenommen haben, und natürlich an Greta, die diesen Teil des Artikels quasi als Ghostwriterin für mich übernommen hat ;)

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Verursacht durch einen Gendefekt, betrifft die seltene Erbkrankheit Epidermolysis bullosa nur eines von 50.000 Neugeborenen im Jahr. Die Haut der Betroffenen ist dabei so fragil, dass schon eine leichte Berührung ausreicht, um sie zu verletzen. Es gibt unterschiedliche Formen, die in ihrer Ausprägung variieren. Von einer leichten Beeinträchtigung der oberen Hautschichten bis zu einer schweren Behinderung, bei der sogar die inneren Organe angegriffen sein können, ist alles möglich.

Ich durfte drei betroffene Familien befragen und sie waren so lieb, uns einen Einblick in ihren Alltag zu geben.

Lena ist eine lebensfrohe, junge Frau aus Österreich. Zurzeit arbeitet sie bei der DEBRA Austria als Teamassistentin. Veronika ist verheiratet und lebt mit ihrer Familie in Deutschland. Sie ist Mama von einem Sohn und zwei Töchtern. Tom ist ebenfalls verheiratet und arbeitet als Projektleiter in einem internationalen Unternehmen.

Wer in Deinem Umfeld ist ein Schmetterlingskind und wie meistert diese Person den Umstand, so verletzlich zu sein?

Lena: Ich bin selbst ein Schmetterlingskind. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich den Umstand, dass ich sehr verletzlich bin, sehr gut meistern kann. Da ich es nicht anders kenne und nun schon seit bald 21 Jahren damit lebe, habe ich gelernt damit umzugehen. Auch wenn ich meistens nicht mal „absichtlich aufpasse“, glaube ich, dass ich in meinem Unterbewusstsein schon so drauf programmiert bin, vorsichtig zu sein.

Veronika: Unsere Tochter Nadja (3) ist ein Schmetterlingskind. Sie ist ein Sonnenschein, immer fröhlich und sehr lebhaft. Außerdem ist sie eine Zicke, wie fast alle Mädchen in diesem Alter. Nur wenn sie Schmerzen hat, ist sie sehr anhänglich und will nur getragen werden.

Tom: Ich lebe seit 35 Jahren mit einer leichten Form von Epidermolysis bullosa. An sich komme ich sehr gut damit zurecht. Ich merke die Hautkrankheit nur dann, wenn ich mich unglücklich stoße oder sehr weite Strecken gehen muss.

Wie gestaltet sich der Alltag im Leben eines Schmetterlingskindes? Was gibt es zu beachten, welche Dinge sind absolut tabu?

Lena: Der Tag beginnt oft damit, zu schauen, ob sich über Nacht für neue Wunden oder Blasen gebildet haben. Je nach Tagesprogramm wird dann überlegt, welche Schuhe am besten geeignet sind (z.B. Städtereise: bequeme Turnschuhe, mit denen ich lange gehen kann). Am Abend muss wieder geschaut werden, ob sich neue Blasen oder Wunden gebildet haben, dann Duschen und Wundversorgung. Die Tabus muss jeder für sich selber finden. Ich hab, da ich mich durch meine Krankheit nicht einschränken lassen möchte, sehr viele Grenzen ausgetestet. Vieles geht für mich nicht, Fußball spielen und andere Teamsportarten kann ich leider nicht ausüben.

Veronika: Der Alltag beginnt mit einem Verbandswechsel an jedem Tag in der Woche. Jeden Morgen werden Wunden versorgt und Blasen geöffnet. Dann spielt das Essen und Trinken eine große Rolle. Da bei Nadja die Schleimhäute betroffen sind, haben wir auch immer Probleme mit dem Stuhlgang. Nach ca. 2 Stunden ist der große Verbandswechsel oft mit vielen Schmerzen geschafft. Wir haben dann ein wenig Zeit zum Spielen, müssen zwischendurch aber immer wieder neue Wunden und Blasen versorgen, die durch das normale Leben und Bewegung entstehen. Am Abend gibt es einen weiteren Verbandswechsel und es werden Nachtlagerungsschienen an die Hände angelegt. Sand und Wasser sind nur selten erlaubt, denn es erfordert einen hohen Zeitaufwand, um die Verbände wieder neu anzulegen. Sonne und Freibad sind auch nicht so gut. Das Hautkrebsrisiko ist 70 Prozent höher als bei einem gesunden Menschen. Laufen ist oft nur kurze Strecken möglich, wegen der Wunden und den damit verbundenen Schmerzen. Absolut tabu sind nur Dinge, die Nadja nicht erlaubt. Wir sind der Meinung, dass es besser ist, das Kind zu unterstützen und leben zu lassen. Das ist natürlich sehr schwer.

Tom: Ich habe in meinem Alltag relativ wenig Wunden, was bedeutet, dass bei mir eine intensive Versorgung nicht notwendig ist. Wenn ich mich mal verletze, reichen Pflaster meistens aus, um die Schmerzen zu lindern. In meinem Leben gab es nur wenige Dinge, auf die ich verzichten musste, weil meine Form nicht so stark ausgeprägt ist wie bei anderen Patienten. Nur auf Sportarten, die auf einen engen Körperkontakt hinauslaufen, habe ich freiwillig verzichtet.

Welche Möglichkeiten habt ihr, um Verletzungen weitgehend einzugrenzen?

Lena: Ich habe lernen müssen, vorausschauend zu denken. Das heißt oft versuchen „für andere“ aufzupassen, quasi die nächste Bewegung meines Gegenübers schon zu wissen, damit ich rechtzeitig ausweichen kann.

Veronika: Möglichkeiten, die Schmetterlingskinder vor Gefahren zu schützen, gibt es nur wenige. Es gibt spezielle Wundauflagen und Verbände, die gut helfen. Die richtige Handhabung beim Hochheben, beim Hand geben usw. ist wichtig. Man muss immer gut aufpassen, spitzes, hartes oder scharfes Material vermeiden, Bett und Stühle sowie Fahrzeuge polstern. Aber trotz allem wird immer wieder etwas passieren.

Tom: Ich denke, ich bewege mich bewusster in meinem Umfeld, passe instinktiv auf, dass mir niemand zu nahe kommt oder mich versehentlich tritt. Und ich bin sehr anspruchsvoll bei der Wahl meiner Kleidung, um Reibungen zu verhindern.

Wie reagieren andere auf die Tatsache, dass die Haut so empfindlich ist und man eigentlich immer der Gefahr ausgesetzt ist, einem Schmetterlingskind ungewollt weh zu tun?

Lena: Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Von erstaunt über entsetzt bis interessiert. Ich habe alles schon erlebt. Die meisten zeigen sich aber eher interessiert und wollen mehr darüber wissen – vor allem wie man als Betroffene damit umgeht.

Veronika: Es ist sehr unterschiedlich. Manche trauen sich gar nicht, das Kind anzufassen. Andere versuchen es einfach irgendwie, wenn man nicht aufpasst. Viele denken, die Hautkrankheit ist ansteckend, und entfernen sich schnell. Andere starren einfach nur und wieder andere geben ihre Kommentare dazu ab.

Tom: Viele wissen gar nicht, was es mit dieser Hautkrankheit auf sich hat. Da kann es schon mal passieren, dass die Reaktionen im ersten Moment sehr forsch und fast schon beleidigend ausfallen. Trotzdem versuche ich, offen damit umzugehen, auch wenn es mir nicht immer leicht fällt. Sobald mein Gegenüber jedoch verstanden hat, woher meine Narben stammen, erfahre ich oft auch Bewunderung und Respekt, weil ich gelernt habe, damit umzugehen.

Wie kann man euch und andere Betroffene am besten unterstützen?

Lena: Am besten kann man uns helfen, indem man Bewusstsein schafft, Distanzen nimmt und vor allem uns als normale Menschen sieht (wenn auch mit Einschränkungen) – aber wenn man das so sieht. Wer ist schon ’normal‘?

Veronika: Wir wären glücklich über eine breite, umfassende Aufklärung. Das würde uns die vielen schlechten Fragen und Blicke ersparen. Leider kennt in Deutschland fast niemand diese Krankheit. Was natürlich auch ein Problem bei der Erlangung der Pflegestufe und sämtlichen Hilfsmitteln ist. Beim Versorgungsamt ist es ein Kampf, sein Recht zu erlangen. Ansonsten wäre Forschung ganz oben. Wir sind in der Selbsthilfeorganisation DEBRA-Austria und gehen ins Salzburger Landesklinikum, speziell EB-Haus zu Behandlungen. Dort wird uns so gut wie im Moment möglich geholfen und immer mit einem Lächeln. Spenden an die DEBRA sind also auch eine Hilfe für uns.

Tom: Durch Offenheit, Unvoreingenommenheit und vor allem Aufklärung.


Auch heute waren natürlich wieder ein paar Wörter versteckt – habt ihr sie gefunden? Dann schnell aufschreiben, und schaut doch mal, ob das Puzzle nicht vielleicht so langsam schon einen Sinn ergibt ;)


Alle Teile des Specials auf einen Klick:

28.06.2014 – Die Ankündigung
02.07.2014 – Buch- und Autorenvorstellung
09.07.2014 – Stimmen zum Buch
16.07.2014 – Schmetterlingskinder melden sich zu Wort
23.07.2014 – Die Rezension der Schattenkämpferin
30.07.2014 – Das Interview
06.08.2014 – Die Gewinner


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