Gedankensplitter – Narben auf der Seele
Wie ich schon in meinem Alltagsgedanken-Artikel zum Thema „Menschliche Fassaden“ geschrieben habe, können wir den Menschen immer nur vor den Kopf schauen. Wir wissen nicht, welche Geschichten sie mit sich herumtragen, durch welche Lebenstäler sie bereits gegangen sind, welches Leid sie schon ertragen mussten. Was sie mit den Jahren überlebt haben. Wir können zwar ihre Gesichter und manchmal auch ihre Körper sehen, die vielleicht makellos aussehen. Doch wir wissen nie, wie es in ihrem Inneren aussieht. Ob dort die Dunkelheit herrscht. Oder ein ständiger Sturm wütet. Oder ob Narbengewebe alles verdeckt.
Und so wissen auch andere nichts über unser Inneres, wenn sie uns „nur“ anschauen. Obwohl ich das nicht pauschalisieren möchte. Ich habe Menschen kennen gelernt, denen ein Blick in meine Augen gereicht hat und noch immer reicht, um sie wissen zu lassen, ob meine Gedanken gerade schattenumwölkt oder lichtdurchflutet sind. Ein Blick reicht für sie auch, um einschätzen zu können, ob ich gerade reden möchte oder man mich lieber in Ruhe lässt oder ich einfach eine feste Umarmung brauche.
Fakt ist, die meisten von uns haben in ihrem Leben Dinge erlebt, auf die wir gerne verzichtet hätten. Auch wenn sie uns haben wachsen lassen, auch wenn sie uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind, auch wenn wir durch sie – und all die Zeit danach – stärker geworden sind. Doch nur weil wir diese Dinge vermeintlich hinter uns gelassen haben, bedeutet das nicht, dass wir sie auch vergessen haben. Sie sind noch immer in unseren Köpfen, in unseren Herzen, in unseren Seelen. Dort werden sie auch immer bleiben, auch wenn wir uns jeden Tag weiterentwickeln und versuchen zu lernen, besser mit ihnen umzugehen.
Alles, was in unserem Leben passiert, hinterlässt eine Spur. Manche Erinnerungen ziehen sich wie ein warmer Sonnenstrahl durch die Jahre und bringen uns immer wieder zum Lächeln, völlig egal, wie viel Zeit vergangen ist. Andere Momente machen uns traurig und bringen uns auch nachwirkend manchmal noch zum Verzweifeln. Und es gibt Erlebnisse, die sich tief in unserer Seele einbrennen und uns niemals vergessen lassen, dass wir verletzlich sind. Alles das und noch so viel mehr stellt die Summe dessen dar, was wir sind und was uns ausmacht. Wir können nicht aus unserer Haut, wir können nur versuchen, das Beste aus dem zu machen, was uns das Leben bietet. Jeden einzelnen Tag aufs Neue.
Ich habe gerade in den letzten Jahren einige Menschen kennen gelernt, zu denen ich noch vor dem ersten Wortwechsel eine Verbindung gespürt habe. Weil wir uns ähnlich sind, weil wir ähnliches erlebt haben. Wir mussten nicht miteinander reden, um zu wissen, dass wir einer verwandten Seele begegnet sind. Einer Seele, die ebenfalls durch sehr dunkle Zeiten gegangen ist und mit zahlreichen Dämonen zu kämpfen hat.
Vielleicht sind unsere Seelen mit Narben übersät.
Und doch strahlen wir, irgendwie.
Wir sind wunderschön, mit all unseren Ecken und Kanten und Narben und Kratzern.
Weil wir überlebt haben, bis heute, und weil wir nicht aufgeben. Niemals.
Denn wir haben gelernt, hinter die lächelnde Maske zu sehen und den Menschen dahinter zu erkennen.
Und seine Schönheit.
Trotz – oder vielleicht gerade wegen – all seiner Narben.
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eine Kommentar
Sehr schön! Mir gefällt vor allem der Vergleich, dass uns schöne Momente, die wir vor x Jahren mal erlebt haben noch zum Strahlen bringen können – viele (zumindest in meinem Umfeld) verstehen es jedoch nicht, dass ein Schicksalsschlag auch Jahre später mich noch erschüttern kann!
Ich wünsche Dir alles Gute!!!