Literarische Zitate #24 – Lieblingskind
Wisst ihr, manchmal gibt es Bücher, die einen insgesamt leider gar nicht überzeugen können, und trotzdem haben sie zahlreiche kleine Momente, die die Leserschaft innehalten lassen. Momente, die durch ein paar auf den ersten Blick vielleicht ziemlich simple Buchstabenaneinanderreihungen für besondere Satzfragmente sorgen, die zum Nachdenken anregen, ungeahnte Saiten anschlagen oder eine bestimmte Emotion wecken.
Mir ging es tatsächlich mit „Lieblingskind“ von C. J. Tudor so. Der Klappentext hat mich seinerzeit extrem neugierig gemacht, und gemeinsam mit zwei tollen Bloggerinnen habe ich den Thriller im Februar dann gelesen. Rückblickend muss ich allerdings sagen, dass ich nicht besonders viel Spaß bei der Lektüre hatte – mehr dazu werde ich euch aber in den nächsten Tagen noch in einer ausführlichen Rezension berichten.
Heute soll es nämlich um den positiven Part gehen. Denn obwohl ich mich zeitweise wirklich durch die Seiten quälen oder zwingen musste, sind mir einige Stellen im Gedächtnis geblieben. Und für ein Buch, das mir keinen großen Spaß gemacht hat, sind im „Lieblingskind“ ganz schön viele Markierungsklebchen. Und die möchte ich gerne mit euch teilen.
Ein Leben voller Verheißung. Dabei ist das Leben nie etwas anderes. Eine Verheißung. Keine Garantie. Wir bilden uns ein, wir hätten einen festen Platz in der Zukunft, haben aber nur eine Reservierung. Das Leben kann jeden Augenblick storniert werden, ohne Vorwarnung, ohne Rückerstattung, ganz gleich, wie weit man auf der Reise gekommen ist. Selbst wenn man kaum Zeit hatte, sich die Umgebung anzusehen.
(Seite 23)
Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Falsch. Die Zeit verkleinert die Wunden nur. Sie strömt gleichgültig dahin, frisst an unseren Erinnerungen, zernagt diese mächtigen mitleidvollen Brocken, bis am Ende nur noch winzige spitze Splitter übrig sind, immer noch schmerzhaft, aber so klein, dass man damit leben kann.
Gebrochene Herzen heilen nicht. Die Zeit nimmt bloß die Trümmer und zermahlt sie zu Staub.
(Seite 64)
Das Leben lässt einem oft keinen Ausweg. Ich würde es nicht Schicksal nennen, aber es gibt Dinge, denen man nicht ausweichen kann.
(Seite 121)
Komisch, die guten Erinnerungen flattern umher wie Schmetterlinge: flüchtig, ätherisch, man bekommen sie nicht zu fassen, ohne sie zu zerstören. Die schlechten hingegen – Scham und Schuldgefühle bleiben wie Parasiten. Und fressen einen leise von innen auf.
(Seite 144/145)
Das Leben ist nicht nett. Zu keinem von uns, am Ende.
Es legt uns Lasten auf die Schultern, erschwert uns jeden Schritt. Es nimmt uns, was wir lieben, und verhärtet unsere Seele mit Schmerz.
Das Leben kennt keine Gewinner. Es geht immer nur ums Verlieren: Jugend, Schönheit. Manchmal denke ich, man altern nicht mit dem Vergehen der Jahre, sondern mit dem Verschwinden der Menschen und Dinge, die man liebt. Und diese Art des Altern lässt sich weder mit Spritzen noch mit Spachtelmasse glätten. Der Schmerz zeigt sich in den Augen. Augen, die zu viel gesehen haben, verraten einen immer.
(Seite 163)
Das ist das Dumme am Leben. Es sagt einem vorher nicht Bescheid. Es gibt einem niemals auch nur den kleinsten Hinweis, dass irgendein Augenblick der entscheidende ist. Dann bliebe einem ein wenig Zeit, sich darauf vorzubereiten. Und es lässt einen nie wissen, dass man etwas festhalten sollte – erst wenn es zu spät ist.
(Seite 212/213)
Trauer ist privat. Man kann sie nicht teilen wie eine Schachtel Pralinen. Sie gehört einem ganz allein. Eine stachlige Eisenkugel, die man am Knöchel hinter sich herschleppt. Ein eng anliegendes Nagelkleid. Eine Dornenkrone. Kein anderer kann den Schmerz empfinden. Niemand kann in den Schuhen des anderen gehen, weil die Schuhe voller Glasscherben sind, die einem bei jedem mühsamen Schritt die Sohlen in blutige Fetzen schneiden. Trauer ist die schlimmste Art von Folter und hört niemals auf. In diesem Kerker bleibt man bis ans Ende seines Lebens.
(Seite 290)
„Im Innern sind wir alle noch Kinder. Dieselben Ängste, dieselben Freuden. Wir werden nur größer, und besser darin, Dinge zu verbergen.“
(Seite 304)
„Der Tod ist ein schmutziges Geheimnis. Dabei ist er in gewisser Hinsicht der wichtigste Teil des Lebens. Ohne den Tod wäre unsere Existenz gar nicht denkbar.“
(Seite 328)
Weil die Toten uns nie wirklich verlassen. Wir tragen sie in uns. In allem, was wir tun. In unseren Träumen und Alpträumen. Die Toten sind Teil von uns. Und vielleicht sind sie auch Teil von etwas anderem. Von diesem Ort. Dieser Erde.
(Seite 332)
Die Vergangenheit ist nicht real. Sondern nur eine Geschichte, die wir uns selbst erzählen.
Und manchmal lügen wir.
(Seite 371)
Wer von Notlügen spricht, lügt. Lügen sind Lügen. Lügen sind der Nebel, der die Wahrheit verschleiert. Manchmal so dicht, dass wir selbst sie kaum noch sehen können.
(Seite 391)
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