Lyrikmail vom 21.04.2010

Guten Morgen, werte Leser,

ich befinde mich wieder in einer Phase der Schlaflosigkeit, und zwar in einer der unangenehmeren Sorte, bei der ich mitten in der Nacht aufwache und sofort tausende von Gedanken auf mich einstürmen – alle nur dieses eine Thema betreffend. So lange es draußen dunkel und verhältnismäßig still ist, kann ich meinen Körper zwingen, wieder einzuschlafen. Doch jetzt, um diese Zeit, ist es bereits hell und das Haus wacht langsam auf, sodass an ein Weiterschlafen kaum zu denken ist.

Der Blick aufs Handy bringt das, was man erwartet, aber nicht das, worauf man gehofft hat. Ist es nicht seltsam, wie sehr man sich an einer Hoffnung festklammern kann, bewusst und unbewusst, obwohl man ganz genau weiß, dass es mehr als unwahrscheinlich ist, dass sie Erfüllung findet? Und wie schwer es einem fällt, diese Hoffnung loszulassen, obwohl man – ebenfalls ganz genau – weiß, dass Loslassen die klügere und gesündere Variante wäre?

Nach dem Blick aufs Handy folgt der Blick ins Mailfach, mit der gleichen Hoffnung, dem gleichen Wissen, dem gleichen Ergebnis – und auch der gleichen, irgendwie befriedigenden Enttäuschung. Kann Enttäuschung überhaupt befriedigend sein? Paradox.
Doch heute hat sich der Blick in meine Mails gelohnt. Einmal mehr schafft es der tägliche „Newsletter“ von Lyrikmail, die richtigen Worte zu finden. Bezogen auf meine überaus verqueren Gedanken und Gefühle auf die vergangene Nacht von Freitag auf Samstag schon nahezu ein Zeichen.

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Lyrikmail Nr. 2190, 21.04.2010
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Kein Lebewohl, kein banges Scheiden!
Viel lieber ein Geschiedensein!
Ertragen kann ich jedes Leiden,
Doch trinken kann ich’s nicht, wie Wein.

Wir saßen gestern noch beisammen,
Von Trennung wußt‘ ich selbst noch kaum!
Das Herz trieb seine alten Flammen,
Die Seele spann den alten Traum.

Dann rasch ein Kuß vom lieben Munde,
Nicht Schmerz getränkt, nicht Angst verkürzt!
Das nenn‘ ich eine Abschiedsstunde,
Die leere Ewigkeiten würzt.

Friedrich Hebbel (1813-1863)

* der Autor …………………………………………..
geb. am 18.03.1813 als Christian Friedrich Hebbel in Wesselburen als Sohn eines Maurers. Sein Vater stirbt völlig verarmt als Hebbel 14 Jahre alt ist. Nach dem Tod des Vaters beginnt er eine Boten- und Schreibertätigkeit beim Kirchspielvogt Mohr, erste Veröffentlichungen in Provinzblättern. In Hamburg verliebt er sich in die Näherin Elise Lensing. 1836-39 studiert er in Heidelberg und München. Er hört Vorlesungen in Jura, Geschichte, Literatur u. Philosophie. Ein Reisestipendium des dänischen Königs ermöglicht den Aufenthalt in Kopenhagen (1842-43). Ab 1845 lebt er in Wien, heiratet die Burgschauspielerin Christine Engelshausen, wird finanziell unabhängig. Er stirbt am 13.12. 1863 an Rheuma.

Zufall? Schicksal? Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich an beides nicht glaube. Aber beides hilft in manchen Momenten, nicht vollständig zu verzweifeln und/oder auszurasten. Und ausrasten, durchdrehen – das sind die Dinge, vor denen ich momentan stehe.
Wie heißt es so schön? Gestern standen wir am Abgrund. Heute sind wir schon einen Schritt weiter.

Lyrikmail vom 15.03.2010


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