Backstage: … Sonntagsgedanken …

… an einem Montagabend.

Das liegt daran, dass diese Gedanken im gestrigen Tag entstanden und dort haften geblieben sind, mich aber trotzdem auch in und durch den heutigen Tag begleitet haben. In der Hoffnung, dass sie ein (Teil-)Grund für meine massiven Schlafprobleme in der letzten Nacht waren, möchte ich sie daher heute Abend mit euch teilen. Auch wenn ihr vielleicht nicht alles versteht. Auch wenn ihr vielleicht mehr versteht als ich denke, erwarte, hoffe, möchte.

verlassene-schaukel

Fast direkt hinter meinem Haus, nur zwei Gehminuten entfernt, gibt es einen kleinen Spielplatz. Manchmal, wenn mir meine Wohnung zu eng wird und ich das Gefühl habe, in diesen vier Wänden nicht mehr atmen zu können, gehe ich rüber, setze mich auf eine Bank und sehe den Kindern beim Spielen und Schaukeln und Toben und Lärmen und Leben zu. Und dann frage ich mich oft, ob und wann ich eigentlich aufgehört habe, Kind zu sein.

So auch gestern, als ich am frühen Nachmittag von einem Treffen wiederkam, das mich erwartungsgemäß gedanklich lange festhielt. Eigentlich immer noch festhält. Ein Treffen, das sehr viel mit Berlin zu tun hat und sehr viel von Berlin wieder in Erinnerung gerufen hat. Viel von Berlin und viel von meiner Vergangenheit und viele von den Fragen, die zwischendurch immer mal wieder meinen Kopf fluten.

Es gibt Momente, in denen ich gerne wieder Kind wäre. In denen das Kind in mir wieder geweckt wurde und schaukeln möchte, toben möchte, lärmen möchte, wippen möchte, auf Bäume klettern möchte. Einfach wieder Kind sein möchte.
Und dann gibt es Momente, in denen ich froh bin, das Kindsein hinter mich gebracht zu haben. Die Zeit überstanden zu haben, erwachsen geworden zu sein, überlebt zu haben, trotz allem, was passiert ist. Trotz allem, was mich hätte zerstören können.

Doch stattdessen bin ich immer noch hier, stehe mit beiden Beinen im Leben, bin angekommen an einem Ort, an den ich zu gehören scheine, und habe trotzdem oft das Gefühl, hier nicht richtig zu sein. Doch wenn ich mich umschaue, wenn ich zurückschaue, wenn ich nach vorn schaue und manchmal einfach nichts und manchmal alles sehe, dann weiß ich nicht, wohin ich noch gehen könnte. Und ob ich mich dort weniger verloren fühlen würde.

Seit Berlin ist irgendwas anders.
Ich schlafe nicht mehr richtig, obwohl mein Körper sich erschlagen fühlt. Ich esse nicht mehr richtig, obwohl mich der Hunger manchmal zerreißen möchte. Ich kann nicht mehr richtig weinen, obwohl meine Augen brennen und mein Kopf vor zurückgehaltenen Tränen schier platzen will. Und ich kann nicht mehr richtig denken, obwohl sich in meinem Hirn alles überschlägt und ich fast wahnsinnig werde wegen der vielen Gedanken, die sich weder sortieren noch greifen lassen.

Und dann vergesse ich manchmal das Atmen.
Manchmal schrecke ich aus meinen Gedanken hoch und frage mich, wie ich dort gelandet bin, wo ich gerade festhänge. Dann denke ich an den Spielplatz hinter meinem Haus und an den alten Apfelbaum im Garten meiner Großeltern und an den See in der Stadt meiner Kindheit und an all die Abende, die ich an diesen einzelnen Orten verbracht habe. Die Zufluchtsorte sind und waren und dass ich trotz all der Zeit seitdem niemals davor wegrennen kann, was war.

Und dann wünsche ich mir die Zeit zurück, in der ich ungehemmt schaukeln und lärmen und toben und leben konnte. In der ich Kind sein durfte. In der dieser Spielplatz hinter meinem Haus mein Revier gewesen wäre. Für einen Augenblick bin ich in meinem Kopf dann wieder Kind.
Und nur einen Moment später bin ich wieder erwachsen. Und frage mich, ob nicht beides möglich ist. Ob es nicht möglich ist, ein erwachsenes Kind zu sein und mich auf diese Schaukel dort hinter dem Haus zu setzen und nur für einen winzigen Moment lang einfach ich sein zu dürfen.

Seit zwei Tagen habe ich wieder Gesellschaft beim Schlafen. „Digga“, den ich vor ein paar Jahren auf der Frankfurter Buchmesse gekauft habe, ist ein mit Wärmeperlen gefüllter Plüschbär, der nach Lavendel duftet. Jeden Abend darf er erst für drei Minuten in die Mikrowelle und dann für die dunklen Stunden mit unter meine Bettdecke. Weil mir seit Berlin immer so kalt ist.

Mehr Kindsein erlaube ich mir nicht. Nicht mehr.
Und warum?

Dieser Beitrag ist Teil 10 von 30 aus der Serie: Backstage | Zeige alle Teile

Teil 1: Neue Artikel-Kategorie: „Backstage“

Teil 2: Backstage: Wie viel Glück kann ein Mensch haben?

Teil 3: Backstage: Einmal und nie wieder!

Teil 4: Backstage: Warum mein Herz für Hamburg schlägt

Teil 5: Backstage: Shoppingwahn am Vor-Welttag des Buches

Teil 6: Backstage: Hamburger Nächte

Teil 7: Backstage: Draußen lesen

Teil 8: Backstage: Wenn Bedeutung unter die Haut geht …

Teil 9: Backstage: A Question Of Lust – oder nicht?

Teil 10: Backstage: … Sonntagsgedanken …

Teil 11: Backstage: Jetzt beginnt mein (Lese)Wochenende …

Teil 12: Backstage: Gehaime vor- und nachwhainachtliche Überraschungspost

Teil 13: Backstage: Manchmal gibt’s so Momente …

Teil 14: Backstage: Eine Zugfahrt, die ist lustig …

Teil 15: Backstage: … durch Raum und Zeit und Worte …

Teil 16: Backstage: Interessante Jobangebote im richtigen Moment

Teil 17: Backstage: Wenn Schweigen zur Gewohnheit wird …

Teil 18: Backstage: Wenn eine gemeinsame Reise zu früh endet …

Teil 19: Backstage: „Ich muss mich leider über Dich beschweren.“

Teil 20: Backstage: Wenn Bedeutung unter die Haut geht (Teil 2)

Teil 21: Backstage: Wenn Alpträume nicht nur den Schlaf rauben.

Teil 22: Backstage: Der etwas andere Liebesbrief

Teil 23: Backstage: Warum Schwäche auch eine Stärke sein kann

Teil 24: Backstage: Somewhere over the rainbow

Teil 25: Backstage: Hi, my name is Chase!

Teil 26: Backstage: Wenn Bedeutung unter die Haut geht (Teil 3)

Teil 27: Backstage: Warum ich dieses Mal nicht am #litnetzwerk teilnehme

Teil 28: Backstage: Wenn Bedeutung unter die Haut geht (Teil 4)

Teil 29: Backstage: Sechs Monate, ein Jahr und zwei Leben

Teil 30: Backstage: #MobbingVerjährtNicht


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eine Kommentar
  1. Tialda sagt:

    Das klingt gar nicht gut, ich kenne solche Gedanken zu Genüge.
    Falls du dich einfach mal ausquatschen willst – du weißt wo du mich auf FB oder so findest ;).

    Fühl dich gedrückt <3

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